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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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wieder weg.
    Eine ebenfalls anwesende Klatschkolumnistin des Konkurrenzblatts New York World , das Pulitzer gehörte, schrieb am nächsten Tag, sie habe diesen Vorfall beobachtet, den außer ihr offenbar niemand sonst bemerkt hatte. Sie täuschte sich. Auch mir war er nicht entgangen. Deshalb behielt ich die Diva den Rest des Abends im Auge, und tatsächlich kehrte sie den Gästen nach einiger Zeit den Rücken, entfaltete den Zettel und las die Nachricht. Dann sah sie sich
um, knüllte ihn zusammen und warf ihn in einen der für leere Flaschen und gebrauchte Servietten vorgesehenen Abfallbehälter. Wenig später fischte ich ihn dort heraus. Und für den Fall, daß Sie sich dafür interessieren, habe ich ihn heute mitgebracht.
    An jenem Abend stopfte ich ihn einfach in die Tasche. Er lag eine Woche lang in meinem kleinen Apartment auf der Kommode. Ich habe ihn als einziges Andenken an die Ereignisse von damals behalten. Die Nachricht lautete: Laß mich den Jungen nur noch einmal sehen. Laß mich ein letztes Lebewohl sagen. Bitte. Am Tag Deiner Abreise. Bei Tagesanbruch im Battery Park. Erik.
    Erst da reimte ich mir einiges zusammen. Der heimliche Verehrer vor ihrer Hochzeit, vor dreizehn Jahren in Paris. Der verschmähte Liebhaber, der nach Amerika ausgewandert und reich und mächtig geworden war, um ein eigenes Opernhaus zu erbauen und sie als Primadonna zu engagieren. Wirklich eine rührende Geschichte, aber eher für eine romantische Romanautorin bestimmt als für einen mit allen Wassern gewaschenen New Yorker Reporter, für den ich mich hielt. Aber warum war er maskiert? Warum kam er nicht und plauderte mit ihr wie alle anderen? Auf diese Fragen wußte ich noch immer keine Antwort. Und ich bemühte mich auch nicht darum, was ein Fehler war.
    Jedenfalls sang die Lady an sechs Abenden und erntete tosenden Applaus, so daß das Haus fast einstürzte. Am achten Dezember trat sie zum letztenmal auf. Dame Nellie Melba, eine andere Primadonna, die weltweit
einzige Konkurrentin der Französin, wurde am zwölften Dezember in New York erwartet. Mme. de Chagny, ihr Ehemann, ihr Sohn und der übrige Troß würden an Bord der »RMS City of Paris« nach Southhampton fahren, weil die Diva im Londoner Covent Garden auftreten sollte. Die Abreise war für den zehnten Dezember geplant, und als Dank für die mir erwiesene Freundlichkeit wollte ich am Hudson sein, um sie zu verabschieden. Unterdessen wurde ich von ihrem Gefolge praktisch als Familienmitglied akzeptiert. Bei der privaten Abschiedsparty in ihrer Luxuskabine auf dem Schiff würde ich mein letztes Exklusivinterview für meine Zeitung bekommen. Danach konnte ich wieder über Mörder und ihre Untaten, die Bullen und die Bosse der Tammany Hall berichten.
    In der Nacht zum zehnten Dezember schlief ich schlecht. Ich weiß nicht, woran es lag, aber Sie alle wissen, daß es Nächte gibt, in denen man nach einer gewissen Zeit erkennt, daß es keinen Zweck hat, wieder einschlafen zu wollen. Da ist es besser, gleich aufzustehen. Also stand ich um fünf Uhr auf. Ich wusch und rasierte mich und zog dann meinen besten Anzug an. Ich befestigte meinen steifen Kragen mit dem hinteren und vorderen Kragenknopf und band mir die Krawatte. Ohne darauf zu achten, welche ich nahm, griff ich nach zwei steifen Manschetten, von denen ein halbes Dutzend auf meiner Kommode lag, und schob sie über meine Handgelenke. Da ich so früh dran war, überlegte ich mir, ob ich nicht ins Waldorf-Astoria hinübergehen und mit den de Chagnys frühstücken sollte. Um das Geld für eine Droschke zu
sparen, ging ich zu Fuß und traf um zehn vor sieben ein. Es war noch immer dunkel, aber im Frühstücksraum saß Pater Kilfoyle allein bei einer Tasse Kaffee. Er winkte mich herbei und begrüßte mich gutgelaunt.
    »Ah, Mr. Bloom«, sagte er, »nun müssen wir also Ihre große Stadt verlassen. Sie sind gekommen, um sich von uns zu verabschieden, nicht wahr? Wie nett von Ihnen. Aber etwas heißer Porridge und Toast geben Ihnen Kraft für den Tag. Ober...« Wenig später gesellte sich der Vicomte zu uns und wechselte mit dem Priester einige Worte auf französisch. Ich verstand nicht, was die beiden sprachen, fragte aber, ob die Vicomtesse und Pierre auch zum Frühstück herunterkommen würden. Pater Kilfoyle nickte zum Vicomte hinüber und erklärte mir, Madame sei in Pierres Zimmer gegangen, um ihn reisefertig zu machen; das hatte er anscheinend soeben erfahren. Ich glaubte es besser zu wissen, hielt aber den Mund. Es
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