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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch
Autoren: brooks
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seinen mächtigen Körper nicht fassen konnte und darunter ganz winzig aussah. Wenn mir der Gesprächsstoff ausging, strahlte er mich noch breiter an und griff nach mir. Seine Hände waren große, schrundige Pranken mit zerbrochenen, g e schwärzten Nägeln. In seiner Vorstellung bestand der Liebesakt aus einem raschen und verschwit z ten Ringkampf, einem Erguss und danach – Schlaf. Ich dagegen lag anschließend stets noch unter se i nem schweren Arm wach und versuchte, mir die dämmr i gen Untiefen seines Geistes auszumalen. Sams Welt war ein feuchtdunkles Labyrinth aus Schächten und Stollen, fünf Klafter unter der E r de. Er wusste, wie man mit Wasser und Feuer Kalkstein sprengt, kannte den gegenwärtigen Wert eines Bleibarrens, wusste, wessen Flöze vermutlich noch vor Jahresende e r schöpft waren und wer wem etwas droben unter dem Edge g e klaut hatte. So weit ihm die Bedeutung von Liebe bewusst war, wusste er, dass er mich liebte, umso mehr, nachdem ich ihm Söhne geschenkt hatte. In diesen engen Grenzen verlief sein ganzes Leben.
    George Viccars schien nie Grenzen gekannt zu haben. Beim Eintritt in unser Häuschen brachte er die große weite Welt mit. Er stammte aus dem Peak District und war in einem Dorf am Fuße des Kinder Scout geboren worden. Allerdings hatte man ihn schon als Lehrling nach Plymouth g e schickt, wo er im Hafen Seidenhändler gesehen und sich mit Spi t zenmachern angefreundet hatte, sogar mit verfeind e ten Holländern. Und welche Geschichten er erzählen konnte: von barbar i schen Seefahrern, die indigoblaue Turbane um ihre kupferfarbenen Gesichter wicke l ten; von einem muselm a nischen Kaufmann, dessen vier Frauen so tief ve r schleiert waren, dass jede beim Herumlaufen nur mit einem Auge aus ihrer Hülle blinzeln konnte. Am E n de seiner Lehrzeit war er nach London gegangen, da die Rückkehr von K ö nig Karl IL für Aufschwung in jeglichem Gewerbe g e sorgt hatte. Dort war er reic h lich damit beschäftigt gewesen, Livreen für die B e diensteten der Höflinge zu schneidern. Und trotzdem war er der Stadt übe r drüssig geworden.
    »London ist etwas für die ganz Jungen und die Schwerreichen«, sagte er. »Andere können dort nicht lange Erfolg haben.«
    Angesichts der Tatsache, dass er noch nicht einmal Mitte zwanzig war, meinte ich lächelnd, auf mich wirke er aber noch jung genug, um Straßenräubern auszuweichen und von durc h zechten Nächten in Bierschenken Abstand zu nehmen.
    »Schon möglich, Mistress«, erwiderte er. »Trot z dem wurde ich es Leid, nicht weiter als bis zur ru ß geschwärzten Wand auf der gegenüberli e genden Straßenseite zu sehen und immer nur den Krach von Kutschenrädern zu hören. Ich sehnte mich nach Platz und guter Luft. Man möchte nicht meinen, dass in London Menschen übe r haupt noch Luft einatmen. Überall spucken die Kohlefeuer Ruß und Schwefel aus, vergiften das Wasser und verwandeln sogar die Paläste in schwarz-düstere Ruinen. Die Stadt gleicht einem korpulenten Mann, der sich in das Wams zu zwängen versucht, das er als kleiner Junge trug. So viele sind auf der Suche nach Arbeit dorthin gez o gen, dass bis zu zehn und zwölf Menschen in einem einzigen Raum zusammengepfercht leben müssen, der nicht größer ist als der, in dem wir sitzen. Arme Seelen haben versucht, an ihre Behausungen anz u bauen und möglichst viel Raum zu gewinnen. Nun ragen diese unförmigen G e bäudeteile so weit in die Gassen hinein und schwanken hoch über verrotte n den Dächern, d ass man sich nur wundern kann, wie sie dieses G e wicht tragen können. Irgendwie kleben überall Dachrinnen und Wasserspeier daran, sodass e i nem nach jedem Regen noch lange das Wasser auf den Kopf tropft und man immer klammfeucht ist.«
    Außerdem hatte er, nach eigenen Worten, allmä h lich jene feinen Herren satt, die für ihren g e samten Haushalt maßgeschneiderte Livreen b e stellten und ihn dann ein Jahr und mehr warten ließen, bis sie ihre Rechnungen beglichen. »Eines kann ich Ihnen vers i chern: Ich muss mich schon glücklich schätzen, wenn ich überhaupt bezahlt wurde«, fügte er hinzu, denn er hatte Kollegen gehabt, die durch die säum i gen Zahler in den Ruin getrieben worden waren.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich ke i nerlei puritanische Neigungen hatte, verriet er mir einige Geschichten von derben Zechgelagen, die er selbst in der Stadt erlebt hatte, nachdem der König nach seinem Exil wieder heimatlichen Boden ang e laufen hatte. Anfänglich war ich
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