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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Bald würde sie wieder von hier fortgehen und diesmal gewiss nicht zurückkommen. Pater Johannes erriet ihre Gedanken.
    »Albert wird sich gut um dich kümmern.« Er griff nach ihrer Hand. »Er ist ein guter Mann mit einem großen Herzen.«
    »Ich weiß«, erwiderte Marianne und sah dem Mönch in die Augen. »Aber wird Pater Franz mir verzeihen können? Ich hätte ihn niemals an ein so großes Versprechen binden dürfen.«
    Der alte Mönch lächelte und drückte ihre Hand.
    »Es gibt nichts zu verzeihen. Er wird bald zu dir kommen, ganz bestimmt.«
    *
    Über den alten Klosterfriedhof wehte ein sanfter Wind, vereinzelt wirbelten Schneeflocken vom Himmel und fielen auf die Gräber mit ihren schmiedeeisernen Kreuzen.
    Marianne saß am Grab ihres Bruders und hatte die Hände auf die feuchte Erde gelegt.
    Pater Franz hatte erwirkt, dass der Junge unter der alten Weide beerdigt wurde. Marianne hatte diesen Platz immer sehr gemocht. Sie wollte nicht, dass er im Grab seiner Mutter beigesetzt wurde. Hedwig hatte den Jungen gehasst, er sollte nicht auf ewig mit dieser Frau, die niemals wie eine Mutter zu ihm gewesen war, verbunden sein.
    Pater Franz trat näher und räusperte sich. Marianne wandte sich um. Der alte Mönch hatte eine Federschachtel in der Hand. Peinlich berührt blickte er zu Boden. Seit der Hinrichtung hatten die beiden nur wenig miteinander gesprochen. Was hätte er ihr auch sagen sollen? Sie würde ihm nicht glauben. Er hatte sein Versprechen nicht gehalten und hatte Anderl nicht geholfen.
    Marianne stand schweigend auf und wischte sich die Erde vom Rock.
    »Ich habe etwas für dich. Anderl hat sich gewünscht, dass ich auf sie aufpasse, aber eigentlich hat er sie für dich gemacht.«
    Er hielt ihr die Federschachtel hin.
    Marianne nahm sie entgegen und öffnete sie. Kleine Strohtiere lagen darin. Sie hob eines davon heraus, sah es bewundernd an, und plötzlich umspielte ein Lächeln ihren Mund.
    »Ja, so etwas konnte er gut.« Sie legte das Tier zurück in die Schachtel und schloss sie wieder.
    Pater Franz, dem beim Anblick der Tiere die letzten Minuten des Jungen in der Zelle in den Sinn kamen, zeigte zum Kloster.
    »Gehen wir ein Stück? Vielleicht in den Rosengarten?«
    Marianne nickte.
    Schweigend verließen die beiden den Friedhof, und der Abt schloss das quietschende Eisentor. Inzwischen fielen immer mehr Schneeflocken vom Himmel und wirbelten um sie herum. Marianne fing sie mit der Hand auf und sah zu, wie sie schmolzen.
    »Wie kleine Sterne, hat Anderl immer gesagt. Er hat den Winter trotz der Kälte geliebt.«
    Pater Franz zog seine Kapuze über den Kopf. Marianne fuhr fort: »Ich glaube, es gab nur eine einzige Sache, die ihn noch glücklicher machte als Schnee.«
    Pater Franz nickte.
    »Die Innschifffahrt, ich weiß.«
    Sie erreichten den Rosengarten. Marianne blieb unter dem kahlen Holzbogen am Eingang stehen und blickte auf die Beete und Kieswege. Sie war wieder hier in ihrem geliebten Garten, wo immer Frieden herrschte, in dem es nichts Böses gab und die Welt ausgeschlossen schien. Sie entspannte sich und sprach weiter:
    »So oft hat er am Ufer des Flusses gestanden und den Booten nachgesehen. Und er wäre so gern mitgefahren.«
    Pater Franz seufzte tief. Sie erreichten ihre Bank und setzten sich. Marianne sah ihren Mentor nachdenklich an. Ihr fiel auf, wie sehr sich sein Gesicht verändert hatte und das warme Strahlen seiner Augen erloschen war. Er war nicht mehr der Mensch von früher, er hatte seine Kraft verloren.
    Pater Franz zuckte mit den Schultern.
    »Die Wege des Herrn sind unergründlich. Anderl ist ins Himmelreich eingezogen, da bin ich mir sicher, und wenn es ihn glücklich macht, auf einem Boot zu sein, dann wurde ihm dieser Wunsch gewiss erfüllt.«
    Marianne musste bei dieser Vorstellung lächeln. Der Gedanke, dass Anderl jetzt irgendwo dort oben auf einem Boot saß und sich den Wind um die Ohren wehen ließ, gefiel ihr.
    »Das wäre schön.«
    Sie strich mit der Hand über die Federschachtel.
    Pater Franz sah die Bewegung aus dem Augenwinkel.
    »Er hat gesagt, die Tiere sollten an einem hellen Platz stehen, irgendwo, wo sie Licht und Sonne haben, das hätten sie gern.«
    Marianne nickte.
    »Gewiss werde ich einen guten Platz finden.«
    Ihr Blick wurde wehmütig.
    »Ich hatte so gehofft, mehr für ihn tun zu können.« Sie seufzte. »Wenigstens konnte ich mein Versprechen halten, und er hat mich noch einmal gesehen. Er wusste, dass ich wegen ihm zurückgekommen bin.«
    Marianne

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