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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition)
Autoren: Nicole Steyer
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dass August Stanzinger der eigentliche Mörder von Hedwig Thaler ist, und Anderl hat er ebenfalls auf dem Gewissen.«
    Der Richter zog eine Augenbraue hoch.
    »Aber deshalb hatte Albert Wrangel nicht das Recht, selbst das Urteil zu fällen.«
    Pater Franz trat ans Fenster und blickte nachdenklich in die Nacht.
    »Dieser Krieg, die Armut und das Leid der Menschen haben mich mürbe gemacht. So viele haben alles verloren, und das Land wird lange brauchen, um sich wieder zu erholen. Blühende Dörfer und Städte werde ich gewiss keine mehr sehen. Aber zwischen all dieser Ungerechtigkeit und dem Grauen, das mich bis in meine Träume verfolgt, habe ich immer wieder Licht gesehen.«
    Er drehte sich um.
    »Heute war so ein Tag, an dem ich Licht gesehen habe. Seit Monaten habe ich gekämpft und versucht, dem Jungen zu helfen, und auch meinem Mündel, von dem ich dachte, ich würde es niemals wiedersehen. Alles schien vergebens zu sein, doch dann kam dieser junge Mann und gab mir neue Hoffnung.«
    »Aber …«
    Der Pater hob die Hand. »Lasst mich ausreden, Euer Gnaden. Ich weiß durchaus, dass es nicht richtig gewesen war, Stanzinger zu erschießen, aber wenn Ihr ehrlich zu Euch selbst seid, dann wisst Ihr, dass dem Büttel niemals der Prozess gemacht worden wäre.«
    »Schätzt Ihr mich wirklich so ein?«, fragte der Richter.
    »Hättet Ihr ihm denn den Prozess gemacht?«
    Der Richter zuckte mit den Schultern.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Seht Ihr. Also lasst es doch einfach dabei bewenden. Marianne und Albert werden weiterziehen, irgendwo ein neues Leben beginnen, und bald wird in der Stadt niemand mehr über den Vorfall reden. Er wird zum Krieg gehören wie alles andere auch.«
    Der Richter trat neben den Mönch und sah ihm offen ins Gesicht.
    »Es tut mir leid, dass der Junge nicht gerettet worden ist, ich hätte so gern mehr für Euch getan.«
    Pater Franz atmete tief durch.
    »Anderl ist jetzt bei Gott und gewiss glücklich. Sein größter Wunsch auf Erden ist ihm erfüllt worden, denn er hat seine Schwester, den Menschen, den er am meisten liebte, noch einmal sehen dürfen. Dafür bin ich dankbar. Marianne hat ihr Versprechen gehalten und mich von meinem entbunden. Sie ist zurückgekommen, und auch wenn sie ihm nicht mehr helfen konnte, so war sie wenigstens in seinen letzten Minuten bei ihm.«
    Der Richter nickte. Er konnte den Abt gut verstehen. Auch ihn hatte dieser Krieg schwer getroffen. Vier seiner Geschwister waren gestorben, und sein Vater war nicht mehr heimgekehrt. Er wusste, was die Worte bedeuteten, und kannte auch das Licht, von dem Pater Franz gesprochen hatte. Diese Momente waren kostbar und mussten festgehalten werden.
    Er legte die Hand auf die Schulter des Abtes.
    »Dann lassen wir es dabei bewenden.« Er lächelte. »Marianne ist für Euch wie eine Tochter, nicht wahr?«
    Pater Franz nickte.
    »Ja, das ist sie. Und ich wünsche mir so sehr, dass sie glücklich wird.«
    *
    Albert wandte sich zur Tür und hielt den Finger vor den Mund, als Pater Franz die kleine Gästekammer betrat. Die Kerze auf dem Nachttisch war weit heruntergebrannt und zauberte Schatten an die Wände. Der Mönch trat leise näher und blickte auf Marianne, die schlafend vor ihm lag, die Hände gefaltet. Selbst das warme Kerzenlicht konnte die Erschöpfung in ihrem Gesicht nicht verbergen. Ihre Wangen waren eingefallen, und ihre Augen, unter denen dunkle Ringe lagen, zuckten nervös hin und her.
    »Endlich ist sie eingeschlafen«, flüsterte Albert.
    Pater Franz legte seine Hand auf Alberts Schulter.
    »Es war ein langer Tag. Kommt, lassen wir sie schlafen.« Albert ließ vorsichtig Mariannes Hand los und folgte dem Abt aus dem Raum.
    »Möchtet Ihr mich noch auf einen Spaziergang durch den Kreuzgang begleiten?« Pater Franz merkte dem jungen Schweden seine Unruhe an. »Zu dieser späten Stunde verbreitet das Kloster immer eine Ruhe, die mir guttut.«
    Albert nahm die Einladung an und bemerkte schnell, was der Mönch gemeint hatte. Der Kreuzgang war mit Kerzen beleuchtet, die ihn in warmes Licht tauchten, die Dunkelheit jedoch nicht ganz vertreiben konnten. Kühle Luft belebte Alberts Sinne und ließ ihn freier atmen. Endlich begann die Anspannung zu weichen.
    »Ich glaubte, ich würde sie niemals wiedersehen«, sagte er plötzlich. »Als sie uns im Wald gefangen nahmen, dachte ich, alles wäre vorbei und der Weg nach München war der schwerste meines ganzen Lebens.«
    Pater Franz sah ihn verwundert an.
    »Ihr seid gefangen genommen
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