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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition)
Autoren: Nicole Steyer
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vor dem Schafott und blickte Marianne ruhig an.
    »Das ist eine schwere Anschuldigung. Warum sollte er Hedwig Thaler umbringen, frage ich dich.«
    »Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Ihr habt Euer Urteil gesprochen. Der Junge ist schuldig«, schrie Stanzinger ihn an.
    Der Richter hob die Hand.
    »Ich will, dass sie spricht.«
    Er blickte kurz zu Pater Franz, der ihm zunickte.
    Richter Constantin von Lichtenberg hatte endlich verstanden.
    Da verlor der Büttel endgültig die Kontrolle. Sie würde ihn verraten und würde aller Welt erzählen, warum er sich auf diesen schrecklichen Handel eingelassen hatte. Ganz Rosenheim würde erfahren, welchen Neigungen er verfallen war. Er war kein Mörder! Niemals! Er hatte das doch alles nicht gewollt!
    Eilig hastete er zum Galgen und stieß mit dem Fuß gegen den Hocker, auf dem Anderl stand.
    Der Stuhl kippte um, der Strick spannte sich und Anderls Genick brach sofort.
    Marianne kreischte auf, rannte zu ihrem Bruder und umschlang seine Beine.
    »Nein! Bitte nicht! Nein! Das darf nicht sein! Nicht sterben bitte! Es ist doch alles gut!«
    Verzweifelt sank sie unter ihm auf die Knie und krümmte sich zusammen. Der Schmerz überrollte sie. Er war tot, einfach so hatte der Büttel ihn umgebracht. Sie war zurückgekommen, jetzt müsste alles gut werden. Eben noch hatte er erleichtert gelächelt. Alles um sie herum versank hinter einer Wand aus Tränen und Verzweiflung.
    »Bitte«, flüsterte sie, »du darfst doch nicht tot sein. Bitte, bitte nicht! Du darfst heute Nacht auch bei mir schlafen. Hörst du! Ich will dir nah sein, und alles wird wie früher sein. Du darfst nicht gehen, bitte! Ich bin doch wieder da, bin zurückgekommen.«
    Die Menge tobte, Frauen kreischten, Kinder weinten. Alle drückten näher ans Schafott, denn keiner wollte etwas von dem Schauspiel verpassen. So eine aufsehenerregende Hinrichtung hatte es noch nie gegeben.
    Die Wachmänner hatten alle Hände voll damit zu tun, die Leute unter Kontrolle zu halten. Alois, Pater Franz, Johannes und die anderen starrten fassungslos auf den toten Jungen, und selbst der Henker war sprachlos.
    August Stanzinger stand schwer atmend neben dem Galgen. Verzweifelt starrte er Marianne an, die für ihn eine große Bedrohung war. Seine Verzweiflung wich plötzlich der Wut, und er ballte die Fäuste. Sie hatte ihm alles verdorben, sein Leben zerstört. Das Pestkind hatte das Unglück über ihn – über sie alle gebracht. Er machte einige Schritte auf sie zu und zog sie grob auf die Beine. Marianne zuckte erschrocken zusammen und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    Doch dann erklang plötzlich ein lauter Schuss, dessen Echo wie ein Donnerschlag von den Hauswänden widerhallte.
    Schlagartig war alles still.
    August Stanzinger blickte ungläubig an sich hinunter und brach tot zusammen.
    Pater Franz und Alois, die zu Marianne eilen wollten, schauten fassungslos in die Menge. Wer hatte geschossen?
    Ein weiterer Schuss erklang. Panisch stoben die Leute auseinander. Eine Gruppe von Männern in Uniform tauchte auf.
    Albert. Er hatte seine Pistole in der Hand und blickte Marianne an. Hinter ihm kamen Claude und die anderen.
    Der junge Schwede kletterte aufs Schafott. Er hatte nur Augen für Marianne. Endlich hatte er sie gefunden.
    Sie konnte es nicht fassen. Er war nicht tot. Er stand vor ihr und war nur wegen ihr zurückgekommen. Weinend fiel sie in seine Arme.
    Behutsam strich er über ihr Haar und drückte sie fest an sich.
    »Ist ja gut. Ich bin da. Es tut mir leid. Ich hab dich allein gelassen. Es tut mir so unendlich leid.« Sein Blick wanderte zu Anderl. »Ich wünschte, ich wäre eher gekommen.«
    Marianne konnte nicht aufhören zu schluchzen. Irgendjemand schnitt Anderls Strick durch, leblos sank der Junge auf die Bretter und wurde weggetragen.
    »Er hat ihn umgebracht, einfach so getötet.«
    »Ich weiß«, antwortete Albert.
    Marianne schloss die Augen und ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken. Albert, er war zurückgekehrt, doch Anderl hatte auch er nicht retten können.

C onstantin von Lichtenberg saß mit ernster Miene vor dem Schreibtisch von Pater Franz.
    »Er hat den Mann erschossen, vor allen Leuten. Ich werde den Schweden anklagen müssen. Der Krieg ist vorbei, und er hat sich genauso unserem Recht zu unterwerfen wie alle anderen auch.«
    Pater Franz beugte sich vor. Er war müde und erschöpft, und im Kerzenlicht wirkten seine Wangen eingefallen.
    »Er hat ihr das Leben gerettet, und wir beide wissen,
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