Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition)
Autoren: Nicole Steyer
Vom Netzwerk:
worden?«
    »Ja, unweit von Kemnaten wurden wir von den Kaiserlichen bei der Jagd überrascht. Claude und ich waren irgendwann umzingelt, und es glich einem Wunder, dass sie uns nicht schon an Ort und Stelle umgebracht haben. Wir wurden mit vielen Männern nach München gebracht und auf dem Marktplatz wie Vieh vorgeführt. Die Menschen bewarfen uns mit faulem Gemüse und mit Eiern. Diese Schande werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen.«
    »Aber wieso seid Ihr nicht hingerichtet worden? Ich hörte, dass alle Gefangenen in München den Tod fanden.«
    »Ein junger Bursche hat uns zur Flucht verholfen.« Albert lächelte. »Ich konnte es kaum glauben, als ich erkannte, wer da in der winzigen Zelle, in die sie mich und Claude geworfen hatten, vor mir stand. Seine blauen Augen kann man nicht vergessen. Damals, in Aibling, haben wir sein Elternhaus überfallen, seinen Vater umgebracht und seine Mutter vergewaltigt.«
    Pater Franz sog die Luft ein.
    »Nein, nein« – Albert winkte ab –, »ich habe die Frau nicht geschändet, aber meine Kameraden waren wie im Rausch. Ich stand etwas abseits und hörte plötzlich ein Geräusch. Als ich unter die Ofenbank guckte, saß dort der Junge und hielt seiner kleinen Schwester den Mund zu. Ich habe sie nicht verraten. Hätte ich es getan, wären sie heute gewiss nicht mehr am Leben. Die Menschen verlieren im Krieg ihren Verstand.«
    »Und dieser Knabe hat Euch gerettet?«
    »Ja, das hat er. Er hatte sich nach dem Überfall den Kaiserlichen angeschlossen und diente als Stückknecht. Er hat mich wiedererkannt.« Albert sah dem Mönch in die Augen. »Ist es nicht sonderbar, welch seltsame Wege Gott für uns findet? Vielleicht war es Schicksal, dass der Junge und ich uns wiedertrafen. Zwei Menschen, die ihre Seelen nicht verkauft haben an die Grausamkeit und den Hass.«
    Pater Franz nickte und bedeutete Albert, ihm in den Flur zu folgen. »Noch vor einigen Wochen dachte ich, ich würde Marianne in ihr Unglück schicken und hätte sie verraten und verkauft, aber vielleicht war es Gottes Wille, dass es so gekommen ist, denn nun ist sie glücklich, hat eine Zukunft und wird endlich nicht mehr die Geächtete und das Pestkind sein, das niemand haben wollte.«
    *
    Marianne saß mit verweinten Augen am nächsten Morgen allein bei Johannes in der Klosterküche beim Frühstück, während der alte Mönch am Ofen stand und in einem großen Topf mit Linseneintopf rührte. Sie war wieder wie früher an ihrem Platz.
    »Hast du Pater Franz heute Morgen schon gesehen?«, fragte sie und schenkte sich einen weiteren Becher Würzwein ein.
    »Nein«, log Pater Johannes. Marianne warf ihm einen strafenden Blick zu.
    »Lüg mich nicht an, Johannes. Ihr seht euch doch jeden Morgen beim Angelus-Gebet. Er geht mir aus dem Weg, oder?«
    Der alte Mönch legte den Kochlöffel zur Seite und setzte sich Marianne gegenüber. Wie sollte er ihr klarmachen, was in seinem alten Freund in den letzten Wochen vorgegangen war und was ihn jetzt dazu bewog, Marianne aus dem Weg zu gehen?
    »Er schämt sich. Immerhin hat er es nicht geschafft, Anderl zu retten. Es war nicht leicht für ihn in den letzten Wochen. Er hat sich sehr verändert, weißt du.«
    Marianne seufzte.
    »Haben wir das nicht alle?«
    »Ja, aber dein Mentor ist immer trauriger geworden und hat irgendwann fast den Glauben verloren. Er wollte unbedingt sein Versprechen halten. Wir haben Grenzen überschritten, und das hätten wir nicht tun sollen.«
    Marianne blickte ihn erstaunt an.
    »Was habt ihr denn angestellt?«
    Der Mönch musste schmunzeln. Marianne wusste seine Worte richtig zu deuten.
    »Sagen wir mal«, versuchte er ihr auszuweichen, »wir waren nicht ganz gesetzestreu, aber geholfen hat es uns nicht, denn beinahe wären wir selbst noch am Galgen gelandet.«
    Marianne senkte den Blick.
    Johannes biss sich auf die Lippen und legte seine Hand auf ihren Arm.
    »Es tut mir leid, ich wollte nicht …«
    »Ist schon gut.« In Mariannes Augen traten Tränen. Sie straffte die Schultern.
    »Ich hätte Anderl wahrscheinlich auch nicht helfen können. Der Büttel war einfach zu mächtig.«
    Pater Johannes schenkte sich ebenfalls Wein ein und trank den Becher in einem Zug leer.
    »Leider ist Josef Miltstetter noch immer flüchtig, bestimmt ist er bereits über alle Berge.«
    Marianne winkte ab.
    »Wenigstens ist er fort.«
    Danach schwiegen beide. Von draußen drang das Gackern der Hühner herein. Marianne ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher