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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Meer. Dort pflegte er stundenlang bei einem gezuckerten Absinth zu sitzen und Domino zu spielen. Daß er unter den Chinesen von Papeete lebte, diffamierte ihn in den Augen der französischen Siedler, wie Leutnant Jénot, der elegante, gebildete Feingeist, ihm zu verstehen gab. Paul war entzückt. Von den popa’a , den Europäern Tahitis, verachtet zu werden war das Beste, was ihm passieren konnte, um sich in seine erträumte Existenz als Wilder hineinzufinden.
    Titi lernte er nicht in einem der sieben Hafenlokale Papeetes kennen, in denen die Seeleute sich betranken und Frauen suchten, sondern auf dem großen Marktplatz, der Explanade, in deren Mitte sich ein viereckiger, von einem kleinen Gitter umgebener Brunnen befand, in dem ein kraftloser Wasserstrahl vor sich hin plätscherte. Umschlossen von der Rue Bonard und der Rue des Beaux-Arts und angrenzend an die Gärten des Rathauses, verwandelte sich der Marktplatz, auf dem vom Morgengrauen bis zum frühen Abend mit Nahrungsmitteln, Haushaltswaren und Flitterkram gehandelt wurde, nachts in einen Fleischmarkt, wie die Europäer Papeetes behaupteten, deren Höllenvisionen von diesem Ort allesamt mit sexuellen Ausschweifungen verbunden waren. Während er tagsüber von Straßenverkäufern wimmelte, die Orangen, Melonen, Kokosnüsse, Ananas, Kastanien, Zuckerwerk, Blumen und billigen Krimskrams feilboten, erklangen mit Einbruch der Dunkelheit im Widerschein trüber Lampen die Trommeln als Auftakt zu Festen und Tanzvergnügen, die in Orgien endeten. Nicht nur die Eingeborenen nahmen an ihnen teil, sondern auch einige Europäer mit zweifelhaftem Ruf: Soldaten, Matrosen, durchreisende Händler, Müßiggänger, nervöse Jünglinge. Die Freiheit, mit der die Liebe dort ausgehandelt und in Szenen wahrer kollektiver Promiskuität praktiziert wurde, begeisterte Paul. Als man erfuhr, daß er nicht nur unter Chinesen lebte, sondern obendrein ein eifriger Besucher des Fleischmarktes war, sank das Ansehendes kürzlich in Papeete seßhaft gewordenen Pariser Malers in den Augen der Familien der Kolonialgesellschaft auf einen Tiefpunkt. Er wurde nie wieder in den Militärklub eingeladen, wohin ihn Jénot kurz nach seiner Ankunft mitgenommen hatte, noch zu sonst einer Zeremonie, die von Bürgermeister Cardella oder Gouverneur Lacascade präsidiert wurde, welche ihn nach seinem Eintreffen freundlich begrüßt hatten.
    Titi bot an jenem Abend auf dem Fleischmarkt ihre Dienste an. Sie war eine sympathische, redselige Mestizin, halb Engländerin, halb Maori, die einmal schön gewesen sein mußte in ihrer vom schlechten Lebenswandel rasch aufgezehrten Jugend. Paul wurde mit ihr zu einer bescheidenen Summe einig und nahm sie mit in seine Pension. Die Nacht, die sie gemeinsam verbrachten, war indes so angenehm, daß Titi sich weigerte, Geld anzunehmen. Verliebt, wie sie war, blieb sie bei Paul. Obwohl vorzeitig gealtert, war sie eine unermüdliche Genießerin in Sachen Liebe und half ihm in diesen ersten Monaten in Tahiti, sich an das neue Leben zu gewöhnen und die Einsamkeit zu bekämpfen.
    Nachdem sie kurze Zeit zusammengelebt hatten, fand sie sich bereit, Paul in das Innere der Insel, weit fort von Papeete, zu begleiten. Er erklärte ihr, er sei nach Polynesien gekommen, um das Leben der Eingeborenen zu leben, nicht das der Europäer, und müsse deshalb die verwestlichte Hauptstadt verlassen. Sie lebten einige Wochen in Paea, wo Paul sich nicht ganz wohl fühlte, und dann in Mataiea, etwa vierzig Kilometer von Papeete entfernt. Dort mietete er eine Hütte an der Bucht, von der aus er ins Meer springen konnte. Vor ihr lag eine kleine Insel und hinter ihr die hohe Palisade der Berge mit ihren steilen, dicht mit Vegetation bedeckten Gipfeln. Kaum hatten sie sich in Mataiea niedergelassen, begann er mit wahrem Furor zu arbeiten. Und während er stundenlang seine Pfeife rauchte und Skizzen zu Papier brachte oder vor seiner Staffelei stand, verlor er das Interesse an Titi, deren Geschwätz ihn ablenkte. Nach dem Malen, um nicht mit ihr sprechen zumüssen, vertrieb er sich die Zeit damit, auf seiner Gitarre zu klimpern oder Volkslieder zu seiner Mandoline zu singen. ›Wann wird sie gehen?‹ fragte er sich neugierig angesichts ihrer unübersehbaren Langeweile. Sie wartete nicht lange damit. Als er an die dreißig Bilder beendet hatte und seit genau acht Monaten auf Tahiti lebte, fand er eines Morgens, beim Aufwachen, einen Zettel mit Abschiedsworten, die an Knappheit nicht zu überbieten waren:
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