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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo
Autoren: Mario Vargas Llosa
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hatteoder weil der Tod seine Arbeit schon begonnen hatte, an seinen Maleraugen. Doch er hörte recht deutlich, was in seiner Umgebung gesagt wurde. Er hörte, wie Tioka dem Bischof erklärte, daß dieser Gestank nicht vom Tod komme, sondern von den entzündeten Beinen Kokes, und daß sein Ableben nicht lange zurückliege, denn vor weniger als zwei Stunden habe er mit ihm und mit Pastor Vernier gesprochen. Wenig oder sehr viel später betrat auch der Leiter der protestantischen Mission das Atelier. Du spürtest (oder war es die letzte Phantasie, Koke?) die Kälte, mit der sich die erbitterten Gegner im ständigen Kampf um die Seelen von Atuona begrüßten, und obwohl er nichts fühlte, wußte er, daß der Pastor versuchte, ihn künstlich zu beatmen. Bischof Martin sagte mißbilligend und sarkastisch:
    »Aber was machen Sie denn da, Mann Gottes. Sehen Sie nicht, daß er tot ist? Glauben Sie, Sie werden ihn wieder zum Leben erwecken?«
    »Es ist meine Pflicht, alles zu tun, um ihn am Leben zu halten«, erwiderte Vernier.
    Fast gleich darauf schlug die angespannte, verhaltene Feindseligkeit zwischen dem Bischof und dem Pastor in ein offenes Wortgefecht um. Und wenn auch immer ferner, immer schwächer (auch dein Bewußtsein begann zu sterben, Koke), konnte er sie noch immer hören, aber es interessierte ihn kaum, was sie sagten. Und doch war es ein Streit, den du unter anderen Umständen höchst amüsant gefunden hättest. Der Bischof hatte den Ordensbrüdern von Ploërmel empört befohlen, diese unflätigen, obszönen Bilder von der Wand zu reißen, um sie zu verbrennen. Pastor Vernier hielt dagegen, daß diese pornographischen Photos, sosehr sie auch einen Angriff auf die Scham und die Moral darstellten, zum Besitz des Verstorbenen gehörten, und das Gesetz sei das Gesetz: Niemand, nicht einmal die religiöse Instanz, könne ohne ein vorheriges richterliches Urteil darüber verfügen. Unverhofft kam die unangenehme Stimme des Gendarmen Claverie – wann hatte diesesabscheuliche Individuum das Haus der Wonnen betreten? – dem Pastor zu Hilfe.
    »Ich befürchte, daß es so ist, Hochwürden. Meine Pflicht ist es, ein Inventar aller Besitztümer des Verstorbenen zu erstellen, einschließlich dieser widerwärtigen Dinge an der Wand. Ich kann nicht erlauben, daß Sie sie verbrennen oder mitnehmen. Ich bedaure, Hochwürden.«
    Der Bischof sagte nichts, aber diese Geräusche waren vermutlich ein Schnaufen, ein Knurren, ein Protest seiner beleidigten Eingeweide angesichts dieses unvorhergesehenen Widerstandes. Fast übergangslos kam es zu weiterem Streit. Als der Bischof Anweisungen für das Begräbnis zu diktieren begann, erhob Pastor Vernier mit einem Nachdruck, der ungewöhnlich war für sein zurückhaltendes, versöhnliches Naturell, Einspruch dagegen, daß der Verstorbene auf dem katholischen Friedhof von Hiva Oa bestattet werden sollte. Paul Gauguin habe seine Beziehungen zur katholischen Kirche schon seit langer Zeit abgebrochen; sie seien inexistent, ja feindselig. Der Bischof antwortete mit lauter Stimme, fast schreiend, der Verstorbene sei zwar ein notorischer Sünder und eine Schande für die Gesellschaft gewesen, aber auch ein geborener Katholik. Und deshalb werde er in heiliger Erde begraben, gegen alle Einwände, und nicht auf einem heidnischen Friedhof. Das Gezeter ging weiter, bis der Gendarm Claverie sich zu Wort meldete und sagte, als Vertreter der politischen Obrigkeit der Insel stehe ihm die Entscheidung zu. Er werde sie nicht sogleich treffen. Er sehe es lieber, wenn die Gemüter sich beruhigten, und wolle das Pro und Kontra der Situation in Ruhe abwägen. Er werde seinen Beschluß im Lauf des Abends fassen.
    Von nun an sah, hörte und wußte er nichts mehr, denn jetzt warst du ganz und gar gestorben, Koke. Er wußte und sah nicht, daß Bischof Joseph Martin bei beiden Kontroversen, die er mit Vernier neben dem noch warmen Leichnam Paul Gauguins ausgefochten hatte, seinen Willen durchsetzte, wenn auch die Methoden, die er dazu anwandte,weder nach den geltenden Gesetzen noch nach der geltenden Moral besonders angemessen waren. Denn am Abend des gleichen Tages, als nur noch Kokes Leichnam im Haus der Wonnen weilte und vielleicht noch ein paar ungebetene wilde Katzen und Hähne, ließ er die fünfundvierzig pornographischen Photos stehlen, die das Atelier schmückten, um sie auf einem inquisitorischen Scheiterhaufen zu verbrennen oder sie womöglich insgeheim zu behalten und sich dann und wann seine
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