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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sein Bohemeleben stürzte. Ob sie wohl noch immer die gleiche war? War sie alt, dick und bitter geworden? Er wollte seine Freunde fragen, ob die Mette Gad von vor zehn, fünfzehn Jahren noch etwas mit der von heute zu tun hatte. Aber er bemerkte, daß er allein war. Deine Freunde waren gegangen, Koke. Bald würdest du die Katzen miauen hören, die luftigen Schritte der Hähne vernehmen, ihr Kikeriki würde in deinem Trommelfell nachzittern, wie auch das Gewieher der kleinen Inselpferde. Sie alle kehrten stets in das Haus der Wonnen zurück, sobald sie bemerkten, daß du allein zurückgeblieben warst. Du würdest ihre grauen Gestalten herumstreichen sehen, würdest sehen, wie die Katzen mit ihren langen Barthaaren die Ränder deines Bettes erkundeten. Doch anders, als Freund Vernier fürchtete, würden diese Miezekatzen nicht über dich herfallen, vielleicht aus Gleichgültigkeit oder aus Mitleid oder abgeschreckt vom Gestank deiner Beine.
    Das Bild Mettes verschwamm für Augenblicke mit dem Teha’amanas, deiner ersten Maorifrau. Und von dieser waren dir seltsamerweise nicht so sehr ihr langes bläuliches Haar oder ihre schönen, festen Brüste oder ihre schweißglänzenden Schenkel in Erinnerung geblieben als vielmehr das obsessive Bild der sieben Zehen ihres mißgestalteten Fußes, des linken – fünf normale Zehen und zwei sehr kleine, winzige Auswüchse –, die du andächtig auf dem Gemälde Te nave nave fenua (Die schöne Erde) porträtiert hattest. Wo mochte es sich jetzt befinden? Es war nur ein gutes Bild, kein Meisterwerk. Schade. Du lebtest noch, Koke, sosehr deine Freunde, wenn sie gemeinsam an deinBett traten, dies auch in Zweifel zu ziehen schienen. Dein Geist war eine Schmiede, ein Feuerkessel, unfähig, eine Idee, ein Bild, eine Erinnerung lange genug festzuhalten, um sie zu verstehen und zu genießen. Alles, was in ihm auftauchte, verschwand sogleich wieder, ersetzt durch einen neuen Wirbel von Gesichtern, Gedanken, Gestalten, die wiederum verdrängt wurden, ohne daß dein Bewußtsein Zeit fand, sie zu erfassen. Du hattest weder Hunger noch Durst, noch brannten deine Beine, noch raste es in deiner Brust. Dich durchdrang das merkwürdige Gefühl, daß dein Körper verschwunden war, zerfressen, verfault durch die unaussprechliche Krankheit, wie ein Stück Holz, über das die Panama-Termiten hergefallen waren, die ganze Wälder zum Verschwinden brachten. Jetzt warst du reiner Geist. Ein immaterielles Wesen, Koke. Unerreichbar für das Leid und die Verwesung, unbefleckt wie ein Erzengel.
    Diese Gelassenheit wurde plötzlich gestört (wann, Koke? vorher?, nachher?), weil du versuchtest, dich zu erinnern, ob es in Pont-Aven, in Le Pouldu, in Arles, in Paris oder auf Martinique war, wo du begonnen hattest, deine Bilder zu bügeln, damit sie glatter und flacher wurden, und sie zu waschen, um der Farbe das Fett und etwas von ihrem Glanz zu nehmen. Deine Freunde und Jünger (welche, Paul? Charles Laval? Emile Bernard?) lächelten über diese Technik, und am Ende mußtest du ihnen recht geben: Es funktionierte nicht. Dieses Scheitern ließ dich in tiefe Mutlosigkeit versinken. Holte dich das Morphium aus dieser düsteren Nebelwolke? Hattest du es fertiggebracht, die Spritze zu nehmen, die Nadel in das Fläschchen zu tauchen, ein paar Tropfen Flüssigkeit zu ziehen, die Nadel in das Bein, in den Arm, in den Bauch oder wo auch immer zu stechen und es dir zu spritzen? Du wußtest es nicht. Doch du hattest das Gefühl, lange geschlafen zu haben, in einer stern- und geräuschlosen Nacht, in vollkommenem Frieden. Jetzt schien es Tag zu sein. Du fühltest dich erleichtert und ruhig. »Dein Glaube ist unbesiegbar, Koke«, rief er erregt. Doch das hatte wohl niemand gehört, denndeine Worte fanden kein Echo. »Ich bin ein Wolf im Wald, ein Wolf ohne Halsband«, rief er. Doch auch du hörtest deine Stimme nicht, denn aus deiner Kehle kamen keine Laute mehr, oder du warst taub geworden.
    Einige Zeit später hatte er das sichere Gefühl, daß einer seiner Freunde, bestimmt der treue, ergebene Tioka Timote, sein Namensbruder, da war und bei ihm saß. Er wollte ihm vieles erzählen. Er wollte ihm erzählen, daß er vor ewigen Zeiten, nachdem er aus Arles und vor dem verrückten Holländer geflohen war, am Tag seiner Ankunft in Paris der öffentlichen Hinrichtung des Mörders Prado beigewohnt hatte und daß das Bild des im bleichen Licht des Morgengrauens unter dem Gejohle der Menge von der Guillotine abgetrennten Kopfes ihn
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