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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gute Freund sollte ein Terrorist gewesen sein? Kaum zu glauben, daß ein Mann mit so sanften Manieren und so eleganter Redeweise Bomben legen konnte.
    »Was können sie mir anhaben?« sagte er schließlich, schulterzuckend.
    »Vieles und alles ziemlich schlimm«, erwiderte Ky Dong langsam und mit so leiser Stimme, daß Paul den Kopf reckte, um ihn zu hören. »Claverie haßt dich von ganzem Herzen. Er ist glücklich, daß er diesen Befehl bekommen hat. Bestimmt hat er ihn selbst in die Wege geleitet. Das glaubt auch Frébault. Paß auf dich auf, Koke.«
    Wie hättest du auf dich aufpassen können, krank, ohne Einfluß und ohne Mittel? Er wartete die Entwicklung der Ereignisse ab, in dem Zustand tumber Schläfrigkeit, in den er infolge des Laudanums und der Krankheit jeden Tag tiefer versank, als wäre die Person, der diese Intrige galt, nicht er, sondern sein Doppelgänger. Seit einiger Zeit fühlte er sich zunehmend kraftlos, sich selbst fremd, gespenstisch.Zwei Tage später erhielt er eine Vorladung. Jean-Paul Claverie beschuldigte ihn, in dem Brief, in dem er angekündigt hatte, er werde die Wegesteuer nicht bezahlen, um den Eingeborenen ein Beispiel zu geben, die Obrigkeit, das heißt den Gendarmen selbst, verunglimpft zu haben. Mit einer in der Geschichte der französischen Justiz einmaligen Schnelligkeit lud ihn der Richter Horville zu einer Anhörung am 31. März vor, abermals im Postamt, wo über die Anklage verhandelt werden sollte. Koke diktierte Pastor Vernier einen raschen Antrag, in dem er um eine längere Frist bat, damit er seine Verteidigung vorbereiten könne. Maître Horville lehnte ihn ab. Die Anhörung am 31. März 1903, die unter vier Augen stattfand, dauerte weniger als eine Stunde. Paul mußte die Echtheit des Briefes und die harten Worte zugeben, mit denen er sich auf den Gendarmen bezogen hatte. Seine chaotische, konfuse, rechtlich kaum fundierte Verteidigungsrede endete jäh, als ein Krampf im Bauch ihn vor lauter Schmerz verstummen ließ. Am Nachmittag des gleichen Tages verlas Richter Horville vor ihm das Urteil: fünfhundert Francs Strafe und drei Monate Haft. Als Paul seinen Entschluß äußerte, Berufung gegen die Verurteilung einzulegen, drohte Horville ihm verächtlich, er werde persönlich dafür sorgen, daß das Gericht in Papeete in Rekordzeit über die Berufung entscheiden und eine noch höhere Geld- und Gefängnisstrafe verhängen werde.
    »Deine Tage sind gezählt, du widerwärtiges Ungeziefer«, hörte er hinter seinem Rücken den Gendarmen Claverie murmeln, als er mühsam, auf dem Kutschbock stolpernd, seinen Wagen erkletterte, um zum Haus der Wonnen zurückzukehren.
    ›Das Schlimmste ist, daß Claverie recht hat‹, dachte er. Ihn schauerte bei der Vorstellung, was auf ihn zukam. Da du nicht in der Lage warst, die Strafe zu zahlen, würde die Obrigkeit und damit der Gendarm selbst deinen ganzen Besitz in Beschlag nehmen. Die Bilder und Skulpturen, die sich noch im Haus der Wonnen befanden, würden konfisziertund von den Kolonialbehörden, wahrscheinlich in Papeete, versteigert und für wenig Geld an schreckliche Leute verramscht werden. Und so versuchte Koke mit der wenigen Energie, die ihm noch blieb, zu retten, was noch zu retten war. Aber seine Kräfte reichten nicht aus, um die Pakete zu packen, und er bat, durch Vermittlung von Tioka, Pastor Vernier um Hilfe. Der Leiter der protestantischen Mission von Atuona war, wie immer, ein verständnisvoller Freund. Er brachte Stricke, Kartons und Packpapier und half, die Pakete mit insgesamt vierzehn Bildern und elf Zeichnungen vorzubereiten, um sie mit dem nächsten Schiff, das in wenigen Wochen, am 1. Mai 1903, in Hiva Oa auslaufen sollte, nach Paris, zu Daniel de Monfreid, zu schicken. Paul Vernier persönlich brachte die Pakete mit Hilfe von Tioka und zwei von dessen Neffen nachts, als niemand sie sehen konnte, zur protestantischen Mission. Der Pastor versprach Paul, er selbst werde es übernehmen, sie zum Hafen zu transportieren, die Formalitäten zu erledigen und zu prüfen, ob sie im Laderaum des Schiffes gut verstaut waren. Du hattest nicht den geringsten Zweifel, daß dieser gute Mann sein Versprechen halten würde.
    Warum hattest du Daniel de Monfreid nicht sämtliche Bilder, Zeichnungen und Skulpturen des Hauses der Wonnen geschickt, Koke? Das fragte er sich oft in den folgenden Tagen. Vielleicht, um auf diesem letzten Stück Weg nicht noch einsamer zu sein, als du schon warst. Aber es war dumm, zu glauben, daß die in
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