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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Paradies nahe zu sein, die er in den ersten Zeiten mit Teha’amana gehegt hatte, von den tupapaus zerstört worden war. Doch diesen Dämonen des Pantheons der Maori verdanktest du auch dein erstes tahitianisches Meisterwerk: beklag dich nicht, Koke. Er war schon fast ein Jahr auf der Insel und wußte noch nichts von der Existenz dieser bösen Geister, die den Leichnamen entstiegen, um das Leben der Lebenden zu ruinieren. Er erfuhr von ihnen aus einem Buch, das ihm Auguste Goupil, der reichste Siedler der Insel, geliehen hatte, und erhielt durch einen merkwürdigen Zufall fast gleichzeitig einen Beweis ihrer Existenz.
    Er hatte sich nach Papeete begeben, um, wie gewohnt, nachzufragen, ob eine Überweisung aus Paris für ihn eingetroffen sei. Er versuchte, diese Reisen zu vermeiden, denn der öffentliche Wagen kostete neun Francs hin und neun Francs zurück; dazu kam das Gerüttel auf der elenden Wegstrecke, besonders, wenn sie verschlammt war. Erfuhr im Morgengrauen los, um am Nachmittag zurückzusein, aber ein sintflutartiger Regen machte den Weg unpassierbar, und der Wagen setzte ihn erst nach Mitternacht in Mataiea ab. Die Hütte lag im Dunkeln. Das war seltsam. Teha’amana schlief nie, ohne eine kleine Lampe brennen zu lassen. Sein Herz krampfte sich zusammen: War sie etwa fortgegangen? Hier schlossen die Frauen die Ehe und lösten sie, wie andere ihr Hemd wechseln. Zumindest in dieser Hinsicht war das Bemühen der Missionare und Seelenhirten, den Maori das Modell der strengen christlichen Familie aufzuerlegen, ziemlich vergeblich. In den häuslichen Angelegenheiten hatten die Eingeborenen den Geist ihrer Vorfahren noch nicht ganz verloren. Eines schönen Tages zog der Ehemann oder die Ehefrau fort, und niemand war erstaunt. Die Leichtigkeit, mit der die Familien sich zusammenfanden und wieder trennten, war in Europa undenkbar. Wenn sie gegangen war, würde er sie sehr vermissen – Teha’amana wohl.
    Er betrat die Hütte. Als er die Schwelle überschritten hatte, suchte er in seinen Taschen nach den Streichhölzern. Er zündete eines an und sah im Licht der kleinen bläulichgelben Flamme, die zwischen seinen Fingern knisterte, das Bild, das er niemals vergessen, das er in den folgenden Tagen und Wochen zurückzuholen versuchen sollte, während er in diesem fieberhaften, tranceartigen Zustand arbeitete, in dem er immer seine besten Bilder gemalt hatte. Ein Bild, das ihm als einer dieser herausgehobenen, visionären Augenblicke seines Lebens auf Tahiti im Gedächtnis bleiben sollte, in denen er geglaubt hatte, wenigstens für einen kurzen Moment das zu berühren, das zu erleben, was er in der Südsee gesucht hatte, etwas, das er in Europa niemals mehr finden würde, weil die Zivilisation es vernichtet hatte. Auf der Matratze am Boden liegend, nackt, bäuchlings, die runden Hinterbacken hochgereckt und den Rücken leicht durchgebogen, das Gesicht halb ihm zugewandt, sah Teha’amana ihn mit einem Ausdruck grenzenlosen Entsetzens an, Augen, Mund und Nase zu einer Grimasseanimalischen Schreckens verzerrt. Auch seine Hände wurden vor Schreck schweißnaß. Sein Herz klopfte wie wild. Er mußte das Streichholz fallen lassen, das ihm die Fingerkuppen versengte. Als er ein neues anzündete, lag das Mädchen noch immer in derselben Haltung da, mit demselben Ausdruck, vor Angst wie versteinert.
    »Ich bin es, ich bin es, Koke«, beruhigte er sie, während er auf sie zuging. »Hab keine Angst, Teha’amana.«
    Sie brach in Tränen aus, schluchzte hysterisch, und in ihrem unzusammenhängenden Gestammel konnte er mehrmals das Wort tupapau , tupapau unterscheiden. Es war das erste Mal, daß er es hörte, aber er hatte es schon einmal gelesen. Während Teha’amana, gegen seine Brust gedrängt, auf seinen Knien sitzend, sich allmählich beruhigte, erinnerte er sich, daß es in dem Buch Voyages aux îles du Grand Océan vorkam, das ein ehemaliger französischer Konsul auf diesen Inseln, Antoine Moerenhout, geschrieben hatte, das gleiche Wort, das Teha’amana jetzt mit erstickter Stimme wiederholte, um ihm vorzuwerfen, er habe sie allein im Dunkeln gelassen, ohne Öl in der Lampe, obwohl er ihre Angst vor der Dunkelheit kannte, denn in der Finsternis erschienen die tupapaus . Das war es, Koke: Als du in den dunklen Raum tratest und das Streichholz anzündetest, hatte Teha’amana dich für ein Gespenst gehalten.
    Sie existierten also, diese Totengeister, böse Dämonen mit gekrümmten Klauen und wölfischen Reißzähnen, die
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