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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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schwach war, um sich zu wehren, vergiftet mit totem Fleisch und Erdessen, deswegen war er so verwirrt. Das Gift musste er ausschwitzen. Totes Fleisch, die Tätowierung am Arm brannte, ein Bruch des Schwurs, aber er war unschuldig daran und es war nur Suppe gewesen. Der Weg durch den Wald war zugewuchert, als sei ihn lange keiner gegangen. Eine Fliegenwolke über einem verwesenden Waran, ein blauschwarzer Schatten, der beruhigend summte, zu beruhigend, am liebsten würde er sich hinlegen und sich einlullen lassen von ihnen und schlafen. Seit Wochen hatte er schon nicht mehr richtig geschlafen, sondern entweder wach gelegen oder war in einer Ohnmacht versunken, die tief war und traumlos, und wenn er erwachte, saß Anna neben ihm, Theodora oder der Pater, einmal auch der Häuptling. Sein Bruder war da, seine Eltern. Es gibt keine Zeit, hatte Kabua ihm einmal gesagt, und nur die sind tot, an die keiner mehr denkt.
    Der Weg ging zu einer Lichtung, die neu war. Baumstümpfe wimmerten. Engelhardt hielt sich die Ohren zu. In einem von ihnen steckte noch eine Axt. Am Rand der Lichtung ein Haufen aus Palmwedeln. Aufeinandergestapelte Stämme. Verbranntes Unterholz. Er ging auf die Knie und umarmte einen der Stümpfe.
    So fand ihn Emil Friebel, den Hut tief ins Gesicht gezogen, sah unschlüssig auf Engelhardts Gesicht, Schweiß oder Tränen, dachte er, begrüßte ihn mit einem Schulterklopfen und nahm ihn mit in das Dorf.
    Ringsum ein Holzzaun, die Spitzen gehärtet im Feuer, das Tor von Horst Remmele bewacht, der beide hereinließ, kurz zögerte, Engelhardt war nicht wirklich willkommen, er sollte Walter fragen, aber egal, er sah fiebrig aus, vielleicht brauchte er Hilfe.
    In der Mitte ein Blockhaus, kirchengroß, Wände und Dach aus massiven Planken. Oben die Fahne, blaugelb mit Palme.
    Ringsherum Hütten aus Palmwedeln. Das Tor fiel wieder zu. Kein Blick aufs Meer oder den Horizont. Theo Kunkel winkte ihm zu. Ulrich sah weg, der Stotterer mit seinem Darwinkomplex, alles eine Frage der Züchtung, beim Menschen wie in der Natur, nur die Gesunden sollten sich fortpflanzen, dann wird das Menschengeschlecht vollkommen wie die Tiere. Unter der Sonne sind alle gleich, hatte Engelhardt ihm gesagt, sie scheint für jeden, aber Ulrich war nicht zufrieden gewesen, dann macht die Sonne eben einen Fehler, den wir nicht wiederholen dürfen.
    Martha kam, heizte einen Ofen aus Ziegeln, sah kurz zu ihm und setzte sich auf die Bank vor ihrer Hütte, um den Brotteig zu kneten, unreines Essen, alles, was man erhitzen muss, bevor man es zu sich nimmt, ist schmutzig und schädlich, aber das sagte er nicht, sie würden nicht hören, seitdem sie auf der Insel waren, hatten sie nie wirklich gehört, was er sagte. Nur sein Beispiel würde sie retten, nur Sonne würde er essen, ein neuer Mensch, nicht durch Zuchtwahl, sondern aufgrund einer Entscheidung, das war der Weg, sie würden es sehen. Gib mir Kraft dazu, Vater Helios, betete er, als er Walter sah, der auf ihn zukam, die Arme öffnete und ihn lange hielt.
    »Schön, dass du da bist, mein Freund. Wir feiern heute ein Fest zu Ehren Hermanns, der uns von den Römern befreit hat. Der ist uns Beispiel und Inspiration. Nackt und frei wie er, so gehen wir, so hat uns Tacitus beschrieben, das habe ich gerade erst gelesen in deiner Bibliothek, nackt, aber keusch und ohne Ausschweifungen. Stolz. Unbezähmbar. Wie du es bist, August, und immer gewesen bist. Bleib hier und feiere mit uns. Ich hätte gerne ein Pferd geopfert, aber sie haben uns keines verkauft drüben in Herbertshöhe. Aber ich habe etwas anderes gefunden, das ein echter Ersatz ist.«
    »Wir wollten einmal jedes Leben erhalten«, sagte Engelhardt. »Aber auch mir ist es nicht gelungen. Ich hatte Fieber und…«
    »Wir wollten vieles und manches haben wir erreicht. Jetzt wollen wir etwas Neues. Man muss sich ändern, August. Wir werden älter. Wir tragen Verantwortung. Andere Aufgaben stellen sich. Aber das verstehst du ja nicht. Außerdem trägst du ein Kreuz. Hat der Pfaffe dich endlich bekehrt?« Engelhardt sah ihn an. Walter wusste nicht, worum es ging. Er war nicht der große Bruder, für den er ihn immer gehalten hatte. Nicht gemeinsam waren sie gegangen, sondern nur nebeneinander, durch einen Zufall auf dem gleichen Weg. Er war nicht der Bruder, den er hatte haben wollen, sondern wie der, derim Wasserversunken war, weil er immer schneller sein wollte, immer stärker, weil er mehr geliebt werden wollte, und von dem trotzdem nicht mehr
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