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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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blieb als ein Stein unter einer dürren Kiefer, an dem schon längst keiner mehr weinte.
    »Was einmal richtig war, bleibt richtig«, sagte Engelhardt. »Romantiker«, sagte Walter und verzog das Gesicht, als zerbisse er eine Kakerlake. Das hatte Engelhardt schon oft gehört, aber das waren Menschen wie Hahl gewesen, Gouverneure, Polizisten, Richter und Lehrer. Walter war einer von ihnen geworden. Engelhardt wandte sich ab und ging. Aus dem Dunkel einer Hütte sah er Annas Gesicht, fern und bleich. Sie hob eine Hand. Dornröschen im Blütenknast. Hinter ihm schlug das Tor zu.
    Wellen schlugen beiläufig an den Strand. Ein Albatros kreiste. Mit der rechten Schere schnitt ein Krebs Stücke aus dem Gallert einer Qualle. Engelhardt ging am Wasser entlang zu seiner Hütte. Die Bücher hatten ihre Ordnung verloren. Jemand hatte sie alphabetisch eingestellt. Kleist stand neben Klinger und Aristoteles neben Bettina von Arnim. Er fand sich nicht mehr zurecht, riss alle aus den Regalen und sortierte sie nach ihrem inneren Wesen, nach dem, was sie über die Welt sagten, den Menschen, die Natur und die Zeit. Manche Bücher fehlten, Heine zum Beispiel, den hätte er fast zitiert, als Walter mit dem Etrusker anfing, Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann / mit seinen blonden Horden / so gab’ es die deutsche Freiheit nicht mehr / wir wären römisch geworden. Damit war eigentlich alles gesagt, aber Walter hätte möglicherweise einfach zugestimmt, weil er die Ironie nicht verstand. Ein paar der Dramen Schillers waren verschwunden. Nackende Körper von Pudor, aber das machte nichts, die wesentlichen Stellen konnte er auswendig: Man sollte frische Luft atmen, Licht trinken, Nacktsport treiben oder auf der Wiese tanzen, nicht nur glücklich, sondern selig. Selig sein, darum ging es, das sollte er Walter sagen, um nichts anderes, aber er würde nicht zurückgehen, außerdem war es zu heiß, obwohl das nicht sein konnte, wie konnte er das Geschenk der Sonne zurückweisen, aber vielleicht war das nicht die Sonne, sondern er verbrannte von innen.
    Engelhardt ließ die Bücher stehen, um die Palme vor seiner Hütte hinaufzuklettern, der erste Baum, den er hier hochgestiegen war vor vielen Jahren, aber jetzt war der Stamm zu glatt oder die Arme zu schwach. Er hing in vier oder fünf Metern Höhe und kam nicht hinauf ins Innerste des Tempels; schuld war die Hühnerbrühe Theodoras, Gift hatte sie ihm eingeflößt, und er schob sich mühsam um eine Handbreit weiter nach oben, so blau war das Meer, so weit der Himmel, so fern noch die Nüsse, die würde er nie erreichen, so nicht, daher glitt er vorsichtig den Stamm nach unten, breitete sich im Sand aus, dann würde er eben Licht trinken, Pudor hatte recht. Engelhardt schloss die Augen. Licht allein würde ihn am Leben erhalten. Er spürte, wie die Zunge im Mund anschwoll, die Verräterin, am besten, er näht sich die Lippen zu, dann kommt er nicht in Versuchung, etwas zu essen. Er erwachte, als eine Schildkröte sich über sein Bein schob. Er fühlte nichts, hörte nur das Schleifen des Panzers über den Sand. Sie knabberte an seinen Fußnägeln, nicht gierig, mehr wie im Spiel, aber er konnte nicht mitspielen, denn das Bein blieb taub, nicht einmal die Zehen konnte er bewegen, bis er sich aufsetzte, die erstaunte Schildkröte neben sich in den Sand rutschen ließ, das Bein abrieb und aufstampfte, sodass langsam das Gefühl zurückkehrte. Sand war in die Augen geweht. Sie fühlten sich an wie mit dem Rasiermesser gekerbt. Die Welt, durch die Lider betrachtet, brannte blutrot. Die Erde drehte sich immer schneller. Er krallte sich mit beiden Händen fest, sonst hätte der Äquator ihn fortgeschleudert, hinaus in die Kälte des Alls. Erst viel später kam der Globus zur Ruhe, und er konnte ans Meer kriechen, trank ein paar Schlucke, rieb sich die Augen aus, erbrach, kroch tiefer hinein, ließ sich von den Wellen wiegen, trank, obwohl das Salzwasser an den Lippen brannte, kotzte wieder eine Mischung aus Galle und Salz, die an den Strand spülte und dort gerann.
    Des Lebens Glück und Wonne sang er, verlor die Melodie, versuchte es wieder, aber es fehlte etwas, das wusste er, der Anfang fehlte, wurzeln unsre Götterspuren, ruht des Lebens Glück und Wonne, das war es: sein Lied, das Lied seiner Insel, alles würde gut werden, in dem Tode der Kulturen, in dem Anschluss an die Sonne, er schluckte Wasser, hustete, wurzeln unsre Götterspuren, ruht des Lebens Glück und Wonne, aber wenn das so war,
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