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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas
Autoren: Fred Vargas
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dich gestürzt, das ist mehr als wahrscheinlich. Ich gebe dir alles, du kannst lesen, verbrennen und saubermachen. Ich gebe dir alles vollständig, nicht ein Teil fehlt, du hast mein Wort. Wie, Chevalier? Du glaubst meinem Wort nicht?«
    Chevalier hörte auf zu kräuseln und sah Louis an.
    »Doch«, sagte er.
    Louis legte eine verschnürte Aktenmappe in die ausgestreckte Hand des Bürgermeisters. Der Arm ging leicht nach unten.
    »Es ist schwer, nicht wahr?« sagte Chevalier lächelnd.
    Er blätterte darin, und die Karpfen stießen am Grunde des Teichs zusammen. Sie waren genervt, die Karpfen, und das sah man. An die Oberfläche des Wassers kehrte ein wenig Lesbarkeit zurück.
    »Danke, Kehlweiler. Ich werde vielleicht an Sie denken, aber abends. Rechnen Sie nicht mit mir, was morgendliches Aufstehen angeht.«
    »Das paßt mir«, erwiderte Louis. »Nicht vor Mittag, wenn wir eines Tages miteinander reden müssen.«
    Louis kehrte an die Bar zurück und fragte Antoinette nach dem Telefon. Antoinette gab ihm einen Jeton, das funktionierte noch immer so, und brachte ihm ein Bier, ohne daß er irgendwas bestellt hätte. An solchen Kleinigkeiten erkennt man, daß ein Café einem vertraut geworden ist.
    »Lanquetot? Hier ist der Deutsche. Mord, Mord und nochmals Mord, der Fall ist beendet, wir werden versuchen, Paquelin zu flankieren. Ich muß nur noch ein paar Bekannte im Ministerium kontaktieren, dann komme ich dich übermorgen mit einem Sandwich besuchen. Nein, nicht vor elf.«
    Louis hatte sich umgewandt, als er auflegte. Auf der Schwelle des Cafés stand Jean, ganz bleich, in seinen Klamotten eines falschen Pfarrers, schlaffer als je zuvor und mit roten Augen. Louis bekam Angst, er ging zur Tür und packte ihn am Arm.
    »Gaèl? Was ist mit Gaèl?« fragte er und schüttelte ihn.
    Jean sah ihn schweigend an, und Louis zog ihn zur Theke.
    »Jetzt red doch, verdammt!«
    »Gaèl geht es gut, er hat gegessen«, sagte Jean mit einem zitternden Lächeln. »Die Jungfrau hat heute morgen zu mir gesprochen, da habe ich weinen müssen, sie sagt, sie verzeiht mir.«
    Louis keuchte. Ihm war nicht klar gewesen, wie wichtig ihm war, daß Sevrans letztes Opfer das Massaker überlebte. Daß der Junge leben würde, das war alles, was er jetzt von Port-Nicolas verlangte.
    »Die Jungfrau …«, fuhr Jean fort.
    »Ja«, unterbrach ihn Louis. »Die Jungfrau ist zufrieden, sie sagt, daß du das Recht hast, Gaèl wiederzusehen, um so besser, sie ist ausgesprochen sympathisch, im Grunde eine tolle Frau. Trink was.«
    »Nein«, erwiderte Jean mit ängstlicher Stimme, »das hat sie nicht gesagt. Sie sagt …«
    »Nein, Jean, nein, das hast du falsch verstanden, sie hat dir gesagt, du sollst tun, wie ich dir erklärt habe. Du vertraust mir doch, Jean? Du bist aus dem Knast rausgekommen, aber doch nicht, damit du für den Rest deines Lebens in der Apsis verschimmelst, nicht wahr? Du gehst also auch raus, nicht wahr? Du vertraust mir doch?«
    Jean lächelte stärker.
    »Bist du sicher?« fragte er.
    »Ganz sicher, mein Bein drauf. Trink was.«
    Jean nickte. Die Stille, die, abgesehen von den Geräuschen des Tischfußballs, im Café herrschte, machte Louis in diesem Augenblick klar, daß es nicht sicher gewesen wäre, daß die Mauer der Blicke Jean hereingelassen hätte, wenn er ihn nicht geholt hätte.
    »Antoinette«, sagte er, »Jean will was trinken.«
    Antoinette brachte einen Muscadet und drückte ihn Jean in die Hand.
    Louis ging bei Lina vorbei, die Kinder waren am Morgen angekommen, es würde schon gehen. Er fand sich auf der leeren Straße wieder, die zum Zentrum für Thalassotherapie führte. Er mußte hallo sagen. Er hatte nicht gewagt, Marc zu bitten, ihn bis dorthin auf seinem Fahrrad zu schieben, und doch hatte das eisige Bad in der Quelle seinem Bein überhaupt nicht gutgetan. Er ging nur hallo sagen. Vielleicht fragen, ob sie wegen dieses Beins gegangen war. Vielleicht noch etwas anderes fragen, Pech für Darnas. Pech für Darnas, wenn sie einwilligte. Wenn sie nicht einwilligte, mußte man die Dinge natürlich anders betrachten. Oder aber nur hallo sagen und dann gehen. Louis blieb auf halbem Wege auf der nassen Straße stehen. Oder aber, vielleicht, einfach nur eine kurze Nachricht dalassen, einen erbärmlichen Brief, etwa »meine Kröte macht Dummheiten im Bad, ich muß zurück« – es gibt genug Leute, die so was tun –, und sich von dort verziehen. Denn wenn Pauline wegen des Knies gegangen war oder, schlimmer, wenn sie ihn
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