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Das Orakel von Antara

Das Orakel von Antara

Titel: Das Orakel von Antara
Autoren: Gabriel Galen
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für sein eigenes Leben eine einschneidende Veränderung bedeutete. Mit einem Ruck hob Yorn plötzlich den Kopf. Unvermittelt sprang er auf die Füße und rannte davon. Loran legte die Hand auf Revens Arm.
     
    „Geh' ihm nach!“ sagte er. „Er braucht dich jetzt. Er braucht jetzt den Freund, der du ihm immer warst. Und ich befürchte, dass er dich immer brauchen wird, denn schon als Kinder wart ihr unzertrennlich“, schloss er leise.
     
    Reven sah Loran an, und ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen. „Fürchte nichts, Vater!“ sagte er. „Denn was auch geschieht, du wirst stets zwei Söhne haben, auch wenn du dich nun von ihnen trennen musst. Doch ich weiß, dass Yorn dich liebt, und er wird in dir immer den Vater sehen, auch wenn du ihm nicht das Leben gabst.
    Ich sehe, dass du schon immer wusstest, dass ich eines Tages mit ihm gehen würde. Du kanntest meine Entscheidung schon, bevor ich überhaupt wusste, dass ich mich einmal entscheiden müsste. Denn dass er gehen wird, ist sicher. Immer schon war er voll Tatendrang, und unsere kleine Welt hier am Fluss war ihm viel zu eng. Er wäre eines Tages auch gegangen, wenn er nicht erfahren hätte, dass er Waskors Sohn ist, denn er ist nicht zum Bauern geboren. In ihm fließt das Blut eines Kriegers, und dieses Blut drängt und ruft ihn schon lange. Ich habe längst geahnt, dass er nicht mein richtiger Bruder ist. Man braucht uns nur anzuschauen, um das zu sehen, und unsere Seelen unterscheiden sich voneinander wie der reißende Fluss und der ruhige See. Weder in dir noch in unserer Mutter braust das Blut so ungestüm dahin wie in ihm.
    Doch obwohl ich das ahnte, liebte ich ihn darum nicht wen iger, ja, eher noch mehr, denn in ihm ist all das, was ich verehre und was mir fehlt: Edelmut und Stolz, Tapferkeit und Furchtlosigkeit, Leichtigkeit und Eleganz. Ich habe ihn stets bewundert, und wie ich ihm bis heute ein treuer Bruder war, werde ich ihm ab jetzt ein treuer Freund und Gefolgsmann sein.“
     
    „Ja, du bist anders als er“, entgegnete Loran. „Aber was du an ihm bewunderst, ist auch in dir, wenn auch auf andere Art. Dein Mut und deine Tapferkeit sind nicht geringer als die seinen, doch du bist besonnener. Stolz und Edelmut wohnen auch in deinem Herzen, doch sie sind verhüllt von deiner Bescheidenheit und Ausgeglichenheit. Du bist der ruhende Pol in seinem Leben, so wie er die Antriebskraft des deinen ist. Erst zusammen bildet ihr beide eine vollkommene Einheit, und darum wusste ich, dass du mit ihm ziehen wirst. Doch nun geh' zu ihm! Er braucht nun deinen Zuspruch, denn für ihn ist eine heile und sichere Welt zusammengebrochen. Alles, was bis jetzt für ihn Gültigkeit hatte, zählt nicht mehr. Hilf ihm, wieder sicheren Boden unter die Füße zu bekommen, soweit es in seiner ungewissen Lage möglich ist.“
     
    Reven umarmte den Vater stumm. Dann folgte er Yorn. Er wusste genau, wo er den Bruder finden würde.
     
    Yorn saß an dem von Buschwerk umschlossenen Platz am hohen Ufer des Flusses, von dem aus man das breite Band des Wasserlaufs ein weites Stück nach Süden übersehen konnte. Dorthin war Yorn stets gegangen, wenn er mit sich selbst und seiner Umwelt uneins war und wenn ihm die Enge des kleinen Gehöfts die Brust einschnürte. Oft hatte Reven hier mit ihm gesessen, und Yorn hatte dem Bruder von seinen Träumen über eine Zukunft erzählt, die er sich so ganz anders wünschte als das friedliche, aber ereignislose Leben auf dem Hof. Nun lag diese Zukunft vor ihm, doch als er Yorn mit gesenktem Kopf dasitzen sah, spürte Reven, dass der Bruder ihr nun hilflos gegenüberstand.
    Schwe igend setzte er sich neben Yorn und legte den Arm um seine Schultern. Eine Weile saßen sie so da und schauten auf das in der Sonne glitzernde Band des Flusses hinaus. Doch der Frieden dieses Anblicks täuschte, denn in der Ferne stiegen die Rauchwolken der immer noch brennenden Siedlung auf. Nach einiger Zeit brach Yorn das Schweigen und deutete zu den Rauchwolken hinüber.
     
    „Vor wenigen Stunden habe ich mir noch gewünscht, ich wäre ein Krieger und könnte die Moradonen für ihre Untaten strafen“, sagte er tonlos. „Und nun - jetzt bin ich ein Krieger, oder sollte zumindest einer sein. Ich wollte nie ein Bauer sein, und jetzt erfahre ich, dass ich ein Königssohn bin. Das Glück darüber sollte mir die Seele bis zum Bersten füllen, aber ich bin nicht glücklich - ich habe Angst!“ Er wandte sich Reven zu und ergriff seine Hand. „Reven, hörst
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