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Das Orakel von Antara

Das Orakel von Antara

Titel: Das Orakel von Antara
Autoren: Gabriel Galen
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den Antaren, als Phyrras nun im Schutz der Dunkelheit davonkroch, das Kind unter seiner Kleidung fest an den Leib gebunden. Erst als das dichter werdende Schneetreiben und einige Felsbrocken ihn der Sicht der Wächter vollends entzogen hatten, wagte er es, sich aufzurichten. Im Bogen umschlich er das Lager, um hinter die Pferde zu kommen. Er konnte sie nicht sehen, aber durch das anwachsende Heulen des Windes hörte er schwach das dumpfe Stampfen ihrer Hufe.
    Sein leiser Pfiff ging im Geräusch der Nacht fast unter, doch eines der Pferde spitzte die Ohren. Langsam löste es sich aus dem Verband der Herde, und bald hatte das Schneetreiben seine Umrisse verschluckt.
     
    *****
     
    Drei Tage lang kämpfte sich Phyrras nun schon nach Osten. Zu seiner großen Erleicht erung hatte der Schneesturm nur noch kurze Zeit angehalten, doch er hatte ausgereicht, die Spur des Flüchtlings völlig zu verwischen. Aber obgleich das Wetter nun klar war, kam er nur mühsam voran. Der tiefe Schnee hemmte den Lauf des Pferdes und ermüdete das Tier, und Phyrras selbst merkte, dass auch er immer größere Pausen brauchte und es ihm von Rast zu Rast schwerer fiel, sich wieder in den Sattel zu ziehen. Seine ungenügend versorgten Wunden und der Blutverlust hatten ihn geschwächt. Er flehte zu den Göttern, dass sie ihm wenigstens so viel Kraft verliehen, das Kind in Sicherheit zu bringen.
    Und als ob der Knabe spürte, dass der Mann ihm nur wenig Aufmerksamkeit widmen konnte, lag er meist still an Phyrras' Brust und begann nur hier und da leise zu wimmern, wenn sein Hunger übermächtig wurde. Dann schob ihm der Mann zerkautes Trockenfleisch oder zerbröselten Schafskäse in den Mund oder flößte ihm etwas von dem mit saurem Wein versetzten Wasser ein, das er in einer Lederflasche unter seinem zerrissenen Mantel trug. Der ungewohnte Trank wärmte den Knaben und schläferte ihn bald wieder ein, so dass er Phyrras bei seinem Ritt kaum behinderte.
     
    Der vierte Tag neigte sich seinem Ende zu, als plötzlich wieder Schneetreiben einsetzte. Phyrras war verzweifelt. Er spürte genau, dass er am Ende seiner Kräfte war und eine weitere Nacht im eisigen Sturm nicht überleben würde. Er hatte gehofft, den Fluss zu erreichen, an dessen Ufer verstreut einzelne Gehöfte lagen, die bisher von den Beutezügen der Moradonen verschont geblieben waren.
    Unter normalen Umständen hätte er den Fluss in drei Tagen erreichen müssen, doch er war nur langsam vorangekommen. Sollte er denn so kurz vor dem Ziel scheitern? Carn versank bereits fast bis zur Brust in den hohen Schneewehen. So glitt Phyrras aus dem Sattel und kämpfte sich zu Fuß weiter durch den Schnee, den Knaben fest an sich gepresst. Das Pferd folgte seinem Herrn wie ein treuer Hund. Mehrmals stolperte Phyrras. Immer wieder rang er sich hoch, und der eiskalte Wind schnitt wie mit Messern in seine keuchenden Lungen. Wieder fiel er, und der tiefe Schnee umfing seine ermatteten Glieder wie eine sanfte Umarmung. Wenn er doch nur eine Weile so liegen bleiben könnte! Es war gar nicht kalt hier auf dem weichen Schneelager, nein - im Gegenteil - hier zerrte der Wind nicht mit frostigen Krallen an seiner Kleidung, schnitten die vorangepeitschten Schneekristalle nicht in seine Haut wie feine Klingen!
    Eine wohlige Wärme begann sich in seinem Körper auszubreiten. Zarte M elodien klangen wie aus weiter Ferne an sein Ohr und erfüllten ihn mit Frieden und Ruhe. Eine sanfte Mattigkeit zog durch seinen Körper und ließ seine Augenlider schwer werden. Ja, schlafen, nur eine kleine Weile, dann würde er erfrischt wieder weiterreiten können. Er schloss die Augen, und wie der sanfte Schatten der Abenddämmerung senkte sich langsam der Schlaf des Todes über Phyrras.
    Doch ehe der Schatt en sein Herz erreicht hatte, riss ihn das laute Gebrüll des Knaben aus seiner Erstarrung. Das Kind, das all die Zeit stets nur leise geweint hatte, schrie wie am Spieß. Voll Entsetzen fuhr Phyrras hoch. Hatte er wirklich hier im Schnee schlafen wollen? Schaudernd erkannte er, wie nahe er an der Schwelle des Todes gestanden hatte. Nur das Geschrei des Knaben hatte ihn davor bewahrt, weiter in dem verhängnisvoll wohligen Traum kurz vor dem Erfrieren unterzugehen. Mit letzter Anstrengung raffte er sich auf. Taumelnd stolperte er weiter. Sein Denken setzte aus, und nur noch mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Jedes Gefühl war aus ihm gewichen. Nur ein unbewusster Drang trieb ihn weiter, jenseits aller Hoffnung,
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