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Das Orakel von Antara

Das Orakel von Antara

Titel: Das Orakel von Antara
Autoren: Gabriel Galen
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den Kopf. „Er muss viel Blut verloren haben. Es ist mir ein Rätsel, wie er mit diesen Wunden und mit dem Kind auf dem Arm durch den Schneesturm gelaufen ist.“
     
    „Vielleicht hatte er ein Pferd, und dieses ist unter ihm zusammengebrochen“, mutmaßte Loran. „Wenn er geflohen ist - wie es ja aussieht - dann hat er das Tier nicht schonen können. Wenn der Schneesturm am Morgen nachgelassen haben sollte, werde ich danach sehen. Vielleicht ist es noch zu retten, ansonsten können wir zumindest sein Fleisch verwerten. Und wenn der Mann ein Pferd hatte, finden sich bei dem Tier vielleicht Hinweise auf seine Herkunft. Seiner Kleidung nach gehört er zu den westlichen Stämmen. Aber hoffen wir, dass die Götter ihm gnädig sind und er mit dem Leben davonkommt. Dann werden wir bald erfahren, wer er ist und woher er kommt. An dem Knaben haben die Götter bereits ein Wunder getan, denn dass das Kind noch lebt und anscheinend keinen Schaden davongetragen hat, ist mehr als Glück.“
     
    „Und was für ein hübscher Kerl der Kleine ist!“ lächelte Mara. „Er scheint etwas älter zu sein als unser Reven, denn er ist größer und kräftiger.“
     
    In den Augen der jungen Frau stand ein zärtlicher Ausdruck, und Loran lachte seinem Weib zu.
     
    „Du freust dich wohl schon darauf, zwei Söhne großzuziehen“, schmunzelte er. „Meinst du nicht, dass Reven dir schon genug Arbeit macht? Warte erst einmal ab und schließe den kleinen Burschen nicht so fest in dein Herz. Wenn der Fremde überlebt, wird er seinen Sohn wohl wieder mit sich fortnehmen.“
     
    Mara seufzte. „Ich würde es ihm wohl wünschen“, sagte sie, „aber ich habe wenig Hoffnung für den Mann. Doch lass' uns nun schlafen gehen. Wir können nichts weiter tun als abwarten.“
     
    Gegen Morgen erwachte Loran, weil der Fremde sich auf seinem Lager gerührt hatte. Der Schneesturm hatte aufgehört, und im fahlen Licht der Morgendämmerung erkannte Loran, dass der Mann sich aufzurichten versuchte. Rasch stand Loran auf und kniete neben dem Fremden nieder.
     
    „Bleib' liegen“, sagte er, „du bist bei Freunden und in Sicherheit, und deinem Söhnchen geht es gut.“
     
    Ein mattes Lächeln der Erleichterung zog über das bleiche Gesicht des Mannes, und er sank mit einem Seufzer zurück. „Das ist gut!“ murmelte er. „So ist es mir mit der Gnade der Götter doch gelungen, den Knaben zu retten.“ Er schloss die Augen und lag einen Augenblick still da. Dann jedoch trat ein gehetzter Ausdruck in sein Gesicht. Er griff nach Lorans Hand und schaute ihn eindringlich an.
     
    „Hör' mir zu“, bat er, „denn ich fühle, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich bin Phyrras, der Schwertbruder Waskors, des Fürsten der nördlichen Stämme und Hochkönigs von Antara. Moradonen überfielen uns auf einem ihrer Sklavenzüge, doch es gelang uns, sie in die Flucht zu schlagen. Doch als der größte Teil unserer Männer sie verfolgte, um sie vollends aufzureiben, wurde die nur noch schwach besetzte Siedlung von einer weiteren Schar überrannt, die im Hinterhalt gelauert hatte. Waskor fiel im Kampf, wie die meisten der zurückgebliebenen Männer. Als die Frauen sahen, dass es keine Hoffnung mehr gab, töteten sie ihre Kinder und dann sich selbst, um der Sklaverei zu entgehen.
    Nur wenige von uns gerieten lebend in die Hände der Feinde. Eine der Frauen, Finia, Waskors Schwester, hatte den kleinen Yorn an sich genommen, se inen Sohn. Bei der Geburt des Knaben hatte es seltsame Zeichen gegeben, und die Seher hatten folgendes verkündet: Das Volk der Antaren würde untergehen, wenn dieses Kind vor seinem zwanzigsten Jahr den Tod fände. Finia nahm daher die Schmach der Sklaverei auf sich und lieferte sich mit dem Knaben, den sie als ihren Sohn ausgab, den Feinden aus. So hoffte sie, mit dem Leben des Kindes auch den Fortbestand unseres Volkes zu retten. Doch ich wusste, dass die Königsnarben auf Yorns Brust ihn bald als Waskors Sohn entlarven würde. Daher musste ich mit ihm fliehen. Ich danke den Göttern, dass du uns gefunden hast. Aber nun liegt die Verantwortung für den Knaben in deinen Händen, da ich ihn nun nicht mehr schützen kann.“
    Mit gewaltiger Anstrengung hob Phy rras sich halb hoch, und seine Hände krallten sich in Lorans Schultern. Waren seine Worte bisher schon stockend und mit langen Pausen hervorgestoßen worden, so wurden sie nun fast von seinem schmerzvollen Keuchen verschlungen. „Versprich mir ... sorge für ihn ... er ist die
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