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Das Orakel von Antara

Das Orakel von Antara

Titel: Das Orakel von Antara
Autoren: Gabriel Galen
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doch von Tag zu Tag hatte er es hinausgeschoben. Loran wusste genau, dass Yorn ihn verlassen würde, wenn er erst erfahren hatte, welches Geheimnis ihn umgab. Der unruhige Geist des Jungen würde ihn hinaustreiben, dem Schicksal entgegen, dass ihm bei seiner Geburt bestimmt war.
    Aber Loran liebte Yorn ebenso wie Reven, und der Gedanke an eine Tre nnung erfüllte ihn mit Schmerz. Und er befürchtete, dass er mit Yorn auch Reven verlieren würde, denn die beiden ungleichen Brüder hingen mit solcher Liebe aneinander, dass man selten einen der beiden ohne den anderen sah. Wenn Yorn daher in die Welt hinauszog, würde es Reven auch nicht mehr im Elternhaus halten. Er würde dem Bruder folgen, und ginge dieser auch auf geradem Wege in den Tod.
    Doch der Überfall der Moradonen so nahe bei seinem Hof schien Loran ein Zeichen der Götter, dass er nun nicht mehr zögern durfte. Er musste das Versprechen halten, dass er am Lager des toten Phyrras gegeben hatte. Dass Yorn, die einzige Hoffnung seines Volkes, den ihm bestimmten Weg beschreiten konnte, dafür hatte Phyrras sein Leben gegeben, dafür hatte die edle Finia das bittere Los der Sklaverei erwählt. Er durfte nicht zulassen, dass diese Opfer vergebens gewesen waren und das Volk der Antaren unterging. Wie konnte er seine Liebe zu Yorn und Reven über das Schicksal eines ganzen Volkes stellen?
    Loran fuhr sich mit der Hand durch das schütter gewordene, graue Haar, und seine g ebeugte Gestalt straffte sich. Sein Entschluß war gefaßt: Noch heute würde er Yorn das Geheimnis seiner Geburt enthüllen! Und auch Reven hatte ein Anrecht darauf zu erfahren, wer der geliebte Bruder in Wirklichkeit war.
     
    So rief er am Nachmittag die beiden zu sich. Gemeinsam gingen sie in den nahen Wald, in dem Loran Phyrras damals begraben hatte. Nur schwach schien die Sonne durch die Zweige der hohen Tanne, an deren Fuß er den Toten zur letzten Ruhe gebettet hatte. Damals war der Baum noch jung gewesen, und dichtes Unterholz hatte das Geheimnis des Grabhügels vor ungebetenen Blicken bewahrt.
     
    „Warum führst du uns hierher?“ fragte Yorn irritiert. „Was ist besonderes an diesem Platz?“
     
    „Ich habe euch oft an den langen Winterabenden von Waskor erzählt, dem Hochkönig aller Antaren, dessen Mut und Tapferkeit über das Gebiet unseres Volkes hinaus gerühmt wurde“, begann Loran. „Zwanzig Jahre ist es nun her, dass er von den Moradonen ermordet wurde, niedergemetzelt mitsamt seinen Getreuen von einer Übermacht. Hier unter dieser Tanne ruht einer dieser Gefährten, Phyrras, sein Schwertbruder! Hört nun, was sich an jenem Abend zutrug, als dieser Mann den Weg zu unserem Hof fand.“
     
    Er ließ sich auf dem dicken Moos neben dem Grabhügel nieder und bedeutete seinen Söhnen, sich neben ihn zu setzen. Dann berichtete er, wie er Phyrras gefunden hatte und von dem Knaben, den dieser an seiner Brust mit sich trug.
     
    „Dieser Knabe bist du, Yorn“, endete er. „Du bist der Sohn des Hochkönigs, sein Erbe und die Hoffnung deines Volkes! Bei deiner Geburt haben die Weisen verkündet, dass die Antaren nicht untergehen würden, wenn du unbeschadet dein zwanzigstes Jahr erreichen würdest. Ich habe dafür Sorge getragen, dass dir in dieser Zeit kein Unheil widerfuhr, obwohl das bei deinem ungestümen Wesen nicht immer leicht war. Doch nun ist die Aufgabe erfüllt, die Phyrras mir auferlegte, und nicht länger kann ich deinen Weg behüten. Du musst nun selbst entscheiden, was du zu tun hast, und ich kann dir nicht einmal einen Rat geben, da ich von deiner Bestimmung nicht mehr weiß, als Phyrras mir in der ihm noch verbleibenden Zeit sagen konnte. Hier ist das Pergament, das ich unter Phyrras' Sattel fand, doch welches Land es zeigt und welche Bewandtnis es mit dieser Karte hat, musst du selbst herausfinden. Dein weiteres Schicksal liegt nun in deiner Hand und im Plan der Götter.“
     
    Yorn und Reven hatten dem Vater mit atemloser Verblüffung zugehört. Nun ließ Yorn völlig verstört den Kopf auf die Arme sinken.
     
    „Das kann doch nicht wahr sein!“ stammelte er. „Ich soll ein Fürst sein, der Sohn des Hochkönigs, der einzige Nachkomme Waskors, des vielgerühmten Helden?“
     
    Eine Weile schwieg er, während Loran und Reven ihn stumm ansahen. Revens Gesicht war unbewegt, nur in seinen dunklen Augen lag ein Ausdruck von tiefer Trauer. Der empfindsame junge Mann hatte sofort die Tragweite dieser ungeheuren Enthüllung begriffen und wusste, dass diese auch
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