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Das Orakel von Antara

Das Orakel von Antara

Titel: Das Orakel von Antara
Autoren: Gabriel Galen
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Weg mehr. Grau und verschwommen wie in einem Nebel liegt meine Zukunft vor mir, und noch sehe ich kein Licht, das mir die Richtung weist. Was verlangt man von mir, was kann ich tun, um ein Ziel zu erreichen, das mir nur als Schemen in dunkler Nacht vor Augen liegt? Ist es nicht Vermessenheit von mir, aus den wenigen Worten eines Toten den Anspruch auf die Herrschaft über ein ganzes Volk abzuleiten? Wird man mich nicht auslachen, wenn ein unerfahrener Knabe wie ich daherkommt und behauptet, der Sohn des Hochkönigs zu sein? Mit was kann ich diesen Anspruch rechtfertigen? Mit ein paar Narben auf der Brust und einer alten Karte in der Hand? Genauso gut - ja, vielleicht besser als ich, könntest du diesen Anspruch erheben. Du trägst die gleichen Narben, und die Karte brauchte ich dir nur zu geben. Wer wollte dann sagen können, wer der Sohn Waskors ist?“
     
    Reven lächelte. „Was ist los mit dir, Bruder?“ fragte er. „So kenne ich dich ja gar nicht. Woher kommt deine plötzliche Bescheidenheit? Sieh dich doch nur an, dann weißt du genau, warum man von uns beiden nur dich für Waskors Sohn halten kann, wenn man die Wahl hat. Sahst du je unter den Leuten der westlichen Stämme, die hier und da in die Ansiedlung kamen, Männer von meinem Wuchs und meinen Farben? Du weißt, dass die Niveder groß und blond sind, und von Waskor sagt man, dass er seine Mannen überragte. Ich bin zwar groß für einen der östlichen Antaren, aber du kannst mir auf den Scheitel schauen. Und wer von uns beiden war es denn, der immer nach Kampf und Abenteuer verlangte? Man würde bald merken, in wem von uns das Blut eines Kriegers fließt. Nein, nur ein Fremder würde mich für Waskors Sohn halten, doch nie jemand aus unserem Volk!
    Und was die Narben betrifft: Hat dir der Vater nicht erzählt, dass es bei Todesstrafe verboten ist, das Zeichen der Könige einem Kind einzuschneiden, das nicht von fürstlichem Blut ist? Darum auch ritzte der Vater sie mir auf die andere Seite der Brust, damit jeder meinte, es seien nur die Schmucknarben, die ein Bauer seinen Söhnen aus Eitelkeit einschnitt. Niemand in unserer Gegend, der uns mit den Narben sah, hätte sie für das gehalten, was sie sind, da kaum einer die genaue Beschaffenheit der Königsnarben kennt. Du weißt ja selbst, dass man am besten etwas verbirgt, indem man es offensichtlich macht.
    Aber ich bin sicher, dass es bei den Nivedern jemanden gibt, der die Bedeutung der Narben und der Karte kennt. Das alles zusammen wird deinen Anspruch bestätigen. Und liegt erst ein Schwert in deiner Hand, wird sich bald erweisen, wozu du geboren bist. Der Pflug war nie für dich gemacht. Bis heute hast du es nicht gelernt, eine gerade Furche zu ziehen. Doch nun ist mir klar, warum der Vater dich nie dafür tadelte. Aber mir hat er immer die Ohren langgezogen, wenn ich nicht gerade genug pflügte.“
     
    Yorn musste lachen. „Dafür bekam ich die Schelte, wenn ich mit dem Pfeil den Hasen verfehlte, wenn wir auf die Jagd gingen. Bei dir hat der Vater dazu nie ein Wort gesagt. Aber du hast Recht! Warum mache ich mir eigentlich so viele Gedanken? Wenn die Götter mir eine Aufgabe gestellt haben, so werden sie mir auch hoffentlich ihren Beistand nicht versagen. Mit ihrer Hilfe werde ich es wohl schaffen. Und eigentlich ist es ein Abenteuer, wie ich es mir immer gewünscht habe. Also, was soll's? Ich werde mein Schicksal schon meistern!“
     
    „Sei aber nicht zu unbekümmert!“ warnte Reven. „Wenn dir die Götter vielleicht auch ihren Beistand schenken, so heißt das noch lange nicht, dass du dich blind auf sie verlassen darfst. Die Überirdischen schenken nur dem ihren Schutz, der alle seine Kräfte einsetzt, sein Schicksal selbst zu meistern. Ohne dass du selbst dein Bestes gibst, wird dir nicht gegeben werden.“
     
    Yorns Blick flog mit liebevollem Spott zu Reven hinüber. „Oh, Bruder!“ grinste er. „Ich kann nur immer wieder sagen: Gut, dass ich dich habe! Du wirst schon darauf achten, dass ich mir die Stiefel nicht zu groß anfertige. Komm, Herr Vormund, lass’ uns schneller reiten, damit du Gelegenheit bekommst, deinen Zögling auf den rechten Pfad zu führen!“
     
     
    *****
     
     
    Fünf Wochen waren Yorn und Reven jetzt schon unterwegs. Der früh hereingebrochene Herbst hatte das Laub der Wälder in Rot und Gold getaucht, und je weiter die beiden nach Nordwesten kamen, desto kälter wurden die Nächte. Zweimal waren sie auf Reste von Antarenstämmen gestoßen und nach
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