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Das Opfer

Titel: Das Opfer
Autoren: John Katzenbach
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dass ich dort, wo ich so viele Jahre lang für mich gelebt hatte, wirklich alleine war. Die Geister der Toten. Die Erinnerungen. Ich hatte Angst, den Verstand zu verlieren.« Sie lächelte. »Also, was haben Sie bei der Polizei erfahren?«
    »Dass es tatsächlich so gekommen ist, wie Sally vorhergesagt hat. Er hat es mir nicht explizit erzählt, ich habe es eher erschlossen.Als die Polizei in Michael O’Connells Wohnung kam, fand sie die Mordwaffe in seinem Stiefel versteckt. Seine DNA hatte sein Vater unter den Fingernägeln. Zuerst hat er nur zugegeben, dass er da gewesen war und sich mit dem Alten gestritten hatte, aber nicht, ihn getötet zu haben. Natürlich ist jemand, der die Herzmedikamente eines anderen in einem sadistischen Akt unter den Schuhsohlen zertritt, nicht ganz vertrauenswürdig, und so haben sie ihm nicht geglaubt. Keine Sekunde. Nein, sie hatten ihn am Haken, selbst ohne volles Geständnis, und als sie den Laptop, den er bei einem Laden in Reparatur gegeben hatte, beschlagnahmten und den wütenden Brief an den alten Herrn darauf fanden … na ja, Motiv, Mittel und Gelegenheit, alles vorhanden. Die heilige Dreifaltigkeit der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Hatte Sally es nicht so beschrieben, als sie den Plan entwarf?«
    »Ja, genau«, bestätigte sie. »Ich hatte mir gedacht, dass sie Ihnen das erzählen würden. Aber das ist noch nicht alles, oder?«
    »Er hat versucht, es Ashley, Scott, Sally und Hope anzuhängen, aber …«
    »Eine Verschwörung, bei der so vieles höchst unwahrscheinlich ist, nicht wahr? Erstens, die Mordwaffe stehlen, sie an jemand anderen weiterreichen, bis sie schließlich in die Hände eines Dritten gelangt, bevor sie wieder in O’Connells Wohnung geschafft wird, dann ein Brand … Mal ehrlich, das ergibt doch keinen Sinn, nicht wahr?«
    »Richtig, es ergab keinen Sinn. Schon gar nicht in Verbindung mit Hopes Selbstmord und den verzweifelten Abschiedszeilen, die sie hinterlassen hatte. Der Detective erklärte mir, wenn man O’Connells Version glauben wollte, dann müsste man schlucken, dass eine zum Selbstmord entschlossene Frau unterwegs haltmacht, um an einem Ort, an dem sie noch nie gewesen war, einen Mann zu ermorden, den sie noch nie gesehen hatte, anschließend den weiten Weg nach Boston zurückzufahren, die Waffe in O’Connells Wohnungzurückzuschaffen und am Ende bis nach Maine zu fahren, wo sie, bevor sie sich ins Meer stürzt, einen Abschiedsbrief schreibt, der nichts von alledem erwähnt. Oder man hält vielleicht Sally für die Mörderin, aber die war zur Zeit des Mordes in Boston und hat zarte Dessous gekauft. Und Scott, vielleicht war der es ja, aber auf keinen Fall hatte er genug Zeit, die Tat zu begehen, dann nach Boston zu fahren und wenig später vor einem Stück Pizza in West-Massachusetts zu sitzen. Auch das nicht im Bereich des Wahrscheinlichen.«
    Während ich sprach, sah ich, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie schien immer aufrechter auf ihrem Sessel zu sitzen, als drehte jedes meiner Worte eine Schraube in ihrem Gedächtnis noch ein Stück fester.
    »Ergo?«, fragte sie, doch diesmal klang ihre Stimme erstickt.
    »Ergo passierte irgendwann genau das, was Sally vorausgesagt hatte. Michael O’Connell bekannte sich des Mordes im Affekt schuldig. Offenbar war er beim Prozess fest entschlossen, sich tapfer zu schlagen, und so beteuerte er bis zur letzten Minute seine Unschuld. Doch als die Cops ihm erklärten, dass dieser Schnüffler, Murphy, mit einer Waffe des gleichen Kalibers erschossen worden sei und dass sie sich auch bei diesem Fall für ihn interessieren könnten, entschied er sich für die elegantere Lösung. Natürlich war das nur ein Bluff gewesen. Die Schüsse, an denen Murphy gestorben war, hinterließen derart verformte Kugeln, dass sie für einen ballistischen Vergleich nicht taugten. Das weiß ich von der Polizei. Aber die Drohung erwies sich als nützlich. Zwanzig Jahre. Die erste Anhörung wegen vorzeitiger Haftentlassung nach achtzehn Jahren.«
    »Ja, ja«, sagte sie. »Das wissen wir.«
    »Demnach haben sie erreicht, was sie wollten?«
    »Meinen Sie?«
    »Sie sind damit durchgekommen.«
    »Wirklich?«
    »Na ja, wenn ich glaube, was ich von Ihnen weiß, dann schon.«
    Sie erhob sich, lief im Zimmer auf und ab, ging zu einer Anrichte und goss sich einen Drink ein. »Nicht zu früh dafür, denke ich«, murmelte sie.
    Ich bemerkte, wie ihre Augen feucht wurden.
    Ich sah ihr schweigend zu.
    »›Sie sind damit
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