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Das Opfer

Titel: Das Opfer
Autoren: John Katzenbach
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dreckverschmiertes, aber strahlendes junges Mädchen, das eine goldene Trophäe in die Höhe hielt, und ein deutlich älterer Mann, der eindeutig ihr Vater war und seinerseits sie in die Höhe hielt. Beide Gesichter strahlten vor Freude über einen hart errungenen Sieg. Ich starrte auf das Bild. Das Foto schien zum Leben zu erwachen, und einen Moment lang konnte ich die Jubelrufe und die aufgeregten Stimmen hören sowie die Freudentränen sehen.
    »Ich hab die Aufnahme gemacht«, erzählte sie, »aber ich wünschte, ich wäre selbst mit drauf.«
    Wieder holte sie tief Luft.
    »Sie haben ihre Leiche nie gefunden, wissen Sie«, sagte sie, »es dauerte einige Tage, bis jemand ihren Wagen entdeckte und den Brief auf dem Armaturenbrett fand. Einen Tag danach gab es ein heftiges Unwetter, einen von diesen klassischen spätherbstlichen Nordweststürmen, so dass sie keine Taucher ins Wasser schicken konnten, um nach ihr zu suchen. Der Sog der Ebbe war im November sehr stark und muss sie meilenweit ins offene Meer getrieben haben. Zuerst konnte ich es kaum ertragen, doch mit der Zeit begriff ich, dass es vielleicht besser so war. Es gab mir die Möglichkeit, mich an so viele glücklichere Zeiten mit ihr zu erinnern. Sie haben mich gefragt, weshalb ich Ihnen diese Geschichte erzählt habe?«
    »Ja.«
    »Aus zweierlei Gründen. Erstens, weil sie tapferer war, als es irgendjemand hätte von ihr erwarten dürfen, und jemand sollte das wissen.«
    Catherine lächelte durch ihre Tränen hindurch und zeigte dann auf meine Tasche, in die ich den Zettel gesteckt hatte.
    »Und der zweite Grund?«, fragte ich.
    »Den müssten Sie schon recht bald selbst herausfinden.«
    Wir schwiegen beide, dann lächelte sie. »Eine Liebesgeschichte«, sagte sie. »Eine Liebesgeschichte über den Tod.«
     
    Die Ausstattung variiert mit dem Alter des Gefängnisses und mit dem Budget, das der Bundesstaat für eine moderne Strafvollzugstechnologie bereithält. Aber wenn man sich die Scheinwerfer, die Bewegungsmelder, die Sensoren, Elektronenaugen und Videomonitore wegdenkt, dann läuft Gefängnis immer noch auf eins hinaus: Schlösser und Gitter.
    In einem Vorraum wurde ich zuerst mit einem Scanner und dann auf die altmodische Art gründlich abgetastet. Ich musste ein Papier unterschreiben, auf dem ich versicherte, vom Staat keine außergewöhnlichen Maßnahmen zu meiner Befreiung zu erwarten, falls ich als Geisel genommen wurde. Meine Aktentasche wurde gefilzt. Mein Notizblock durchgeblättert, um sicherzugehen, dass ich nicht zwischen den Seiten etwas hineinschmuggelte. Dann wurde ich durch einen langen Korridor und anschließend eine elektronische Schleuse geführt, deren Gitter hinter mir zuschnappten. Die Eskorte brachte mich in einen kleinen Raum, der, wie man mir erklärte, direkt an die Gefängnisbibliothek grenzte. Gewöhnlich diente er den Unterredungen zwischen Insassen und ihren Anwälten, doch ein Schriftsteller auf der Suche nach einer Story schien ihre Kriterien ebenfalls zu erfüllen.
    Der Raum verfügte über helle Deckenlampen sowie ein Fenster mit Blick auf einen glitzernden Nato-Draht und einen leeren blauen Himmel. Das Mobiliar beschränkte sich auf einen stabilen Metalltisch und billige Klappstühle.
    Mein Begleiter deutete auf einen der Stühle, dann auf die Nebentür.
    »Er kommt gleich. Denken Sie dran, Sie können ihm eine Schachtel Zigaretten geben, falls Sie welche mitgebracht haben, aber sonst nichts. In Ordnung? Sie können ihm ruhig die Hand schütteln, aber mehr Körperkontakt ist nicht erlaubt. Laut dem obersten Gericht des Bundesstaates sind wir nicht befugt, Ihr Gespräch mit anzuhören, aber die Kamera da« – er zeigte in die Ecke gegenüber –, »na ja, die zeichnet Ihre ganze Begegnung auf, einschließlich dieser Instruktionen, die ich Ihnen gerade gebe. Alles klar?«
    »Sicher«, sagte ich.
    »Könnte schlimmer sein. Wir sind um einiges netter als manch anderer Bundesstaat. Möchte nicht unten in Georgia, Texas oder Alabama im Knast sein.«
    Ich nickte, und der Wärter fügte hinzu: »Wissen Sie, der Monitor, der dient auch zu Ihrem Schutz. Wir haben hier ein paar Kerle einsitzen, die Ihnen mal eben so die Kehle aufschlitzen, wenn Sie ein falsches Wort sagen. Deshalb die strenge Überwachung von solchen Besuchen.«
    »Ich werd’s mir merken.«
    »Aber keine Sorge, O’Connell ist bei uns fast so was wie’n Gentleman. Nur dass er aller Welt ständig klarmachen will, er wär unschuldig und so.«
    »Das behauptet
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