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Das Opfer

Titel: Das Opfer
Autoren: John Katzenbach
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bekannt. Vor Gericht. Siehaben vor einem Richter einen Eid geschworen, die Wahrheit zu sagen, und haben sich zu der Tat bekannt.«
    »Das waren rein taktische Überlegungen. Mir blieb keine andere Wahl. Ich hätte fünfundzwanzig Jahre bis lebenslänglich bekommen. Durch das Schuldbekenntnis hab ich die Sache um sieben Jahre oder mehr verkürzt und außerdem das Recht auf Anhörung wegen vorzeitiger Haftentlassung. Wenn ich dann rauskomme, werde ich einiges zurechtrücken.«
    Wieder lächelte er. »Nicht ganz, was Sie erwartet haben?«
    »Ich hatte eigentlich keine konkreten Erwartungen.«
    »Wir sind füreinander bestimmt. Ashley und ich. Daran hat sich nichts geändert. Dass ich jahrelang sitze, ändert nichts daran. Das ist nur ein bisschen Zeit, die verstreichen muss, bevor das Unausweichliche geschieht. Nennen Sie es Schicksal oder Vorsehung, aber so ist es nun mal. Ich habe viel Geduld. Und dann finde ich sie.«
    Ich nickte. Ich glaubte ihm. Er lehnte sich zurück und sah zur Überwachungskamera hoch, drückte seinen Zigarettenstummel aus, zog eine verkrumpelte Packung aus seiner Hemdtasche und zündete sich noch eine an. »Es ist eine Sucht«, erklärte er und ließ den Rauch in kleinen Schüben zwischen den Lippen entweichen. »Fast unmöglich, davon loszukommen, heißt es zumindest. Schlimmer als Heroin oder selbst Kokain.« Er lachte. »Wahrscheinlich bin ich so was wie ein Junkie.«
    Dann starrte er mich über den Tisch hinweg an. »Sind Sie schon mal süchtig gewesen? Nach irgendetwas oder jemandem?«
    Ich reagierte nicht. Schweigen ist auch eine Antwort.
    »Sie wollen wissen, ob ich meinen Vater umgebracht habe? Nein. Ich habe es nicht getan«, sagte er steif und mit einem süffisanten Grinsen. »Sie haben den falschen Mann erwischt.«
    Ich müsse eine Information weitergeben
.
    Das hatte sie gesagt, da war ich mir ganz sicher. Ich brauchte nicht lange, um zu begreifen, was sie meinte.
    Ich bog in die Einfahrt, stellte den Wagen ab und stieg aus. Es war inzwischen heißer geworden. Ich konnte mir denken, dass es an einem heißen Nachmittag wie diesem besonders mühsam sein musste, die Räder eines Rollstuhls zu bewegen.
    Ich klopfte an Will Goodwins Tür, trat zurück und wartete. Das Blumenbeet, das ich vor Wochen gesehen hatte, stand inzwischen in voller Blütenpracht – in fein säuberlich geordneten Reihen wie bei einer Militärparade. Ich hörte das Quietschen der Reifen auf dem Holzfußboden, dann öffnete sich die Tür.
    »Mr. Goodwin? Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern, aber ich war vor ein paar Wochen schon mal hier.«
    Er lächelte. »Sicher, der Schriftsteller. Hätte nicht gedacht, Sie jemals wiederzusehen. Noch Fragen?«
    Goodwin grinste. Ich bemerkte seit meinem letzten Besuch einige Veränderungen. Sein Haar war zotteliger, und die Delle in seiner Stirn, wo ihn das Rohr getroffen hatte, schien sich ein wenig gefüllt zu haben und wurde von seinen Locken kaschiert. Er hatte sich einen Bart stehen lassen, der sein Gesicht so rahmte, dass sein Kinn entschlossen wirkte.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte ich.
    Er deutete mit einer Handbewegung auf den Rollstuhl. »Ich habe tatsächlich ein paar Fortschritte gemacht, Mr. Schriftsteller. Jeden Tag kommt ein bisschen von meiner Erinnerung zurück. Natürlich nicht an den Überfall. Da kommt gar nichts, und das wird vermutlich auch so bleiben. Aber die Schule, das Studium, Bücher, die ich gelesen, Seminare, die ich besucht habe, also davon kommt jeden Tag wieder was zum Vorschein. Folglich habe ich, soweit das möglich ist, ein wenig Auftrieb. Kann wieder ein bisschen an die Zukunft denken.«
    »Das ist gut. Das ist wirklich gut.«
    Er lächelte, richtete sich im Sitzen ein wenig auf und lehnte sich dann zu mir vor. »Aber deshalb sind Sie nicht hier?«
    »Nein.«
    »Sie haben etwas in Erfahrung gebracht? In Bezug auf den Überfall?«
    Ich nickte. Seine witzelnde, umgängliche Art schlug augenblicklich um, und er lehnte sich noch weiter vor, um mit Nachdruck zu fragen: »Was? Sagen Sie es mir. Was haben Sie rausgefunden?«
    Ich zögerte. Ich wusste, was ich mit dem, was ich tat, bewirken konnte. Ich fragte mich, ob sich ein Richter so fühlte, wenn er den Urteilsspruch von der Geschworenenbank hörte. Schuldig. Zeit zur Urteilsverkündung.
    »Ich weiß, wer Sie verletzt hat.« Ich betrachtete sein Gesicht. Es war, als fiele ein Schatten über seine Augen und verdunkelte den Raum zwischen uns. Schwarze Düsternis und blanker Hass. Seine
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