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Das Opfer

Titel: Das Opfer
Autoren: John Katzenbach
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langsam. Er versuchte, nicht an diesen Tag zu denken, befahl sich, nicht jede Szene im Kopf noch einmal durchzugehen.
    Doch während er auf seinen Teller starrte, stahl sich das Bild eines ermordeten Mannes in sein Bewusstsein. Als er glaubte, den unverwechselbaren Geruch von Benzin und dann den ekelerregenden Gestank von brennendem Fleisch in der Nase zu haben, würgte er beinahe. Er sagte sich, du bist noch einmal in den Krieg gezogen. Er atmete durch, aß weiter und konzentrierte sich auf das, was er noch zu erledigen hatte. Er musste jedes Kleidungsstück, das er in O’Connells Haus getragen hatte, im Depot der hiesigen Heilsarmee loswerden, wo es in den Mühlen der Wohltätigkeit untergehen würde. Er erinnerte sich daran, ja nicht die Schuhe zu vergessen. Es könnte noch Blut an den Sohlen kleben. Der Kalauer entging ihm nicht: Wir haben alle Blut an den Seelen.
    Er schaute auf seine Pizza und sah, wie seine Hand zitterte, als er sein Stück zum Munde führte.
    Was habe ich getan?
    Er weigerte sich, die Frage zu beantworten. Stattdessen dachte er an Hope. Je mehr er sich in ihre Situation hineinversetzte, mit der Wunde in ihrer Seite, desto mehr begriff er, dass noch viel geschehen musste, bis er aufatmen konnte.
    Scott sah sich hektisch im Restaurant um und starrte die anderen späten Besucher an, die alle wegblickten oder höflich geradeaus beziehungsweise am Fenster vorbei die Wand betrachteten. Einen Moment lang glaubte er, sie müssten ihn alledurchschauen, so als stünde ihm das Wort
schuldig
in einem grellroten Schriftzug ins Gesicht geschrieben.
    Er merkte, wie ihm das Bein krampfartig zu zucken begann. Es wird schiefgehen. Wir wandern alle ins Kittchen.
    Außer Ashley. Er versuchte, sie sich mit aller Macht vor Augen zu führen, um die Verzweiflung, die ihn zu überwältigen drohte, einzudämmen.
    Die Pizza schmeckte plötzlich staubtrocken. Er wollte allein sein und auch wieder nicht, beides zugleich.
    Er schob den Pappteller weg.
    Zum ersten Mal erkannte Scott, dass das, was sie getan hatten, um Ashley die Sicherheit wiederzugeben, sie alle in einen Abgrund des Zweifels gestürzt hatte.
    Scott verließ langsam das Restaurant, kehrte zu seinem Wagen zurück und fragte sich, ob er je wieder ruhig schlafen würde. Er glaubte nicht.
     
    Hope saß noch in ihrem Leihwagen, doch sie hatte den Motor ausgemacht und die Lampen gelöscht. Ihr Kopf ruhte auf dem Lenkrad. Sie war auf den hintersten Teil des kleinen Platzes am Eingang zum Park am Meer gefahren – so weit wie möglich von der Hauptstraße entfernt, so versteckt, wie sie konnte.
    Sie fühlte sich innerlich leicht, aber erschöpft, und sie war sich nicht sicher, ob sie das Ende der Nacht erleben würde. Sie atmete flach und schwer.
    Auf dem Sitz neben ihr lag das Messer, das so viel Schaden angerichtet hatte, ein billiger Kugelschreiber und ein Blatt Papier. Sie zermarterte sich den Kopf, ob es noch irgendetwas gab, das sie verraten konnte. Sie sah das Handy, sagte sich, dass sie es loswerden musste, und als sie danach griff, klingelte es. Hope wusste, dass es Sally war.
    Sie nahm es, legte es ans Ohr und schloss die Augen.
    »Hope?«, meldete sich Sally, heiser vor Sorge. »Hope?«
    Sie antwortete nicht.
    »Bist du dran?«
    Wieder reagierte sie nicht.
    »Wo steckst du? Wie geht es dir?«
    Es gab so viel, was Hope hätte sagen können, doch ihr kam kein Laut über die Lippen.
    Sie atmete schwer ein.
    »Hope, bitte sag mir, wo du bist.«
    Hope schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
    »Bist du verletzt? Ist es schlimm?«
    Ja
.
    »Hope, bitte, so antworte doch«, flehte Sally. »Ich muss wissen, dass es nichts Schlimmes ist. Bist du auf dem Heimweg? Gehst du ins Krankenhaus? Wo bist du? Ich komme hin. Ich werde dir helfen, sag mir nur, was ich machen soll.«
    Du kannst nichts mehr tun
, dachte Hope.
Nein, rede einfach weiter. Es ist wunderbar, deine Stimme zu hören. Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben? Unsere Fingerspitzen haben sich berührt, als wir uns die Hand geschüttelt haben, und ich dachte, wir stehen in Flammen, mitten in der Galerie, vor allen Leuten
.
    »Kannst du nicht reden? Ist jemand in deiner Nähe?«
    Nein. Ich bin allein. Oder auch nicht. Du bist jetzt bei mir. Ashley ist bei mir. Catherine und mein Vater auch. Ich höre Nameless bellen, weil er auf den Fußballplatz will. Ich habe meine Erinnerungen
.
    Sally wollte in Panik ausbrechen, der geballten Angst nachgeben, die wie ein Hurrikan in ihr tobte, doch sie
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