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Das Mozart-Mysterium

Das Mozart-Mysterium

Titel: Das Mozart-Mysterium
Autoren: Christoph Öhm
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Buch und legten es dann vorsichtig in seine Schatulle zurück. Gerade als wir sie wieder zugedrückt hatten, begann der alte Küster mit knarrender Stimme zu sprechen: »Und nun geht!«
    Sein Gesicht war ausdruckslos. Wir traten an ihm vorbei in den Gang, der Küster zog die Tür zu, die reibungslos und glatt ins Schloss fiel, und wir stiegen wieder hinauf in den Dom.
    Oben wurden wir zum Ausgang geleitet und begaben uns auf den Heimweg.
     
    Wie ich später erfuhr, standen zur selben Zeit zwei Männer in bunten Kapuzengewändern unter einem alten, großen Baum mit ausladendem Geäst und schmiedeten Ränke: »Ich konnte ein Gespräch der Loge unserer Feinde mit anhören: Mozart hat Unterstützung erhalten. Ein junger Mann, der Mozart zur Seite steht, wird für uns zum Problem werden. Ich rate Euch, zuerst sein Leben zu beenden.«
    »So sei es.«

Die Katakomben
     
    21. Oktober
     
    Nach dem Aufstehen frühstückten wir rasch und begaben uns in das Arbeitszimmer, um das nächste Rätsel zu besprechen. Als wir uns an den Schreibtisch gesetzt hatten und der Maestro seine Meerschaumpfeife angezündet hatte, holte er das Schriftstück aus dem sicher verschlossenen Schreibpult.
    Dieses Mal war das Rätsel deutlich länger, ein doppelseitig beschriebenes Blatt, allerdings in anderer Schrift verfasst. Die Handschrift war klein und akribisch, aber nicht kalligrafisch, eher wie ein gemeißelter Schriftzug auf einem Stein. Auch das Material war ein anderes; es war gerolltes Pergament, das bereits vergilbt war.
    Mozart las nicht vor, sondern nahm das Blatt und studierte es lange im Stillen. Ich sah ihm dabei zu und nahm wahr, wie seine Miene immer ratloser und düsterer wurde. Nach einem kräftigen Zug an der Pfeife presste er heraus: »Unmöglich!« Theatralisch wandte er sein Gesicht ab, wie unter Schmerzen, und warf die Rolle auf den Schreibtisch.
    Entsetzt blickte ich ihn an und nahm vorsichtig das Pergament, um es zu studieren:
     
    ›An Paulus./
    Ich sinne wahrlich schon lange, mein Paulus, bei mir selbst im Stillen/ nach, womit ich diesen Zustand vergleichen soll: und ich kann dafür/ nirgends einen verwandteren Fall finden, als bei Menschen, die von/ einer langen und schweren Krankheit aufgestanden, hier und da von/ kleinen Regungen und leichten Anfällen angegriffen, und wenn sie/ schon auch über diese Krankheitsreste hinweg sind, doch noch von/ Besorgnissen beunruhigt werden und, schon genesen, doch noch von/ den Ärzten sich den Puls fühlen lassen und jede Wärme in ihrem/ Körper verdächtig finden. – Bei solchen, mein Paulus, ist nicht etwa/ der Körper nicht völlig gesund, sondern er ist an die Gesundheit noch/ nicht gewöhnt, so wie auch bei ruhigem Meer oder See noch eine Art/ von zitternder Bewegung stattfindet, wenn schon der Sturm vertobt/ hat. Es braucht daher nicht jene stärkeren Mittel, von denen ich auch/ nicht reden will, du brauchst nicht bald dir selbst Gewalt anzutun, bald/ dich zu ärgern, bald nachdrücklicher gegen dich selbst zu verfahren,/ sondern, was freilich erst am Ende kommt, dir selbst zu vertrauen und/ zu glauben, daß du auf dem rechten Wege seiest, daß dich nicht die/ sich durchkreuzenden Wege anderer anfechten, die da- oder dorthin/ laufen und nicht selten um den Weg selbst herum tappen. – Übrigens/ ist, was du wünschest, etwas Großes, Erhabenes, Göttergleiches: nicht/ erschüttert zu werden. – Diese Festigkeit des Gemütszustandes nennen/ die Griechen, wie Dir bekannt ist, Euthymia – worüber Democritus ein/ herrliches Buch geschrieben; ich nenne es Gemüthsruhe. Seneca.‹
     
    Ich verstand Mozarts Regungen, die Bedeutung dieser Sätze war mir ebenso nicht ersichtlich. Unten auf der Rückseite stand in anderer Tinte und Schrift, ähnlich dem Brief Mizlers, eine Zahlenreihe. Ich vermutete, dass es sich um eine erneute Anwendung des Zahlenalphabets handelte:
    ›1/8, 2/26, 2/31, 3/20, 5/6, 5/16, 6/8, 7/12, 9/7, 9/18, 10/33, 12/13, 13/6, 20/42, 22/1, 22/7, 23/3, 24/3.‹
    »Nun, David«, Mozart sprach gepresst, ohne mir sein Gesicht zuzuwenden, »was ist das? Kennen Sie diesen unmöglichen Text?«
    Ich verneinte, obwohl ich in der Theologie durchaus bewandert war.
    »Dies ist nicht, wie man vermuten könnte, ein religiöser Text. Es ist vom antiken Stoiker Seneca!«
    »Aber … Ich verstehe nicht. Die Anrede lautet doch ›An Paulus‹?«
    »Das ist ja das Unmögliche! Seit Jahrhunderten gibt es die Sage, Seneca sei geheimer Christ gewesen und habe mit Paulus Briefe
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