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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel
Autoren: Christian Ditfurth
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konnte, da Roswitha tot war. Sie hatte ihn verlassen, um mit einem Mann zusammenzuleben, den Henri nur einmal sah, was ihm jedoch genügte, sich beleidigt zu fühlen. Ein seltsamer Typ, klein, fast pummlig, kaum Haare auf dem Kopf. Filialleiter eines Supermarkts, Kundenberater der Sparkasse, so etwas.
    Doch war der Typ gewiss Theo ein besserer Vater gewesen, das konnte Henri zugeben. Denn er hatte den Sohn ja nicht gewollt, und er konnte nicht über seinen Schatten springen. Roswitha hatte ihn vorgeführt, und Henri ließ sich nicht vorführen. Eigentlich war es die beste Lösung, dass Roswitha ihn verlassen hatte, obwohl er es als Niederlage empfand. Er hatte Theodann nur noch selten gesehen und in sich entdeckt, dass es so besser war, dass er seinen Sohn nun akzeptieren konnte, weil er nur wenig mit ihm zu tun hatte. Henri hatte sich in den Jahren nach der Trennung weiter in sich zurückgezogen und sich ganz auf seinen Beruf konzentriert. Gut, da hatte es noch diese Affäre mit der Frau in Moskau gegeben. Er hatte es genossen, auch weil es von Anfang an unverbindlich war. Sie hatten eine Gelegenheit wahrgenommen, die sich anbot. Sonst nichts.
    Henri Martenthaler hatte ein merkwürdiges Ziehen im Unterleib verspürt, als er von Roswithas Tod erfuhr durch eine Trauerkarte, die der Typ verschickt hatte. Was dieses Ziehen war, darüber dachte er nicht nach. Er dachte nie über Dinge nach, die er nicht mehr ändern konnte. Bei der Scheidung hatte Theo auf der Seite seiner Mutter gestanden und schien fast froh zu sein, seinen Vater loszuwerden. Gewiss hatte sie den Kleinen ausgiebig bearbeitet und mit irgendwas bestochen. Wenn du das und das sagst, dann … Es war eine kleine Verschwörung gewesen, und sein Sohn hatte mitgemacht. Vielleicht sehe ich das ein bisschen übertrieben, doch es ist nicht ganz falsch, dachte Henri und nippte an seinem Glas. Er war nachtragend, wie andere sagten, aber er fand, es war sein Recht, so zu sein. Er war schließlich ein Mann mit Prinzipien. Henri fand, dass er seine Umwelt keineswegs vor eine schwierige Aufgabe stellte, denn er war berechenbar, gerecht, vor allen Dingen war er konsequent, und er lebte die Konsequenz vor. Zwei und zwei sind vier, diese jederzeit überprüfbare und unabweisbare Gleichung konnte als sein Lebensmotto gelten, und er verspürte eine leichte Verachtung für jene, die dieser einfachen Wahrheit nicht folgten. Wenn etwas richtig war, dann musste es getan werden. War etwas falsch, durfte es nicht getan werden. Nie würde Henri von jemandem etwas fordern, das falsch war. Schon gar nicht von sich selbst.
    Aber wenn er etwas richtig fand, setzte er alles dafür ein, die Begründung ergab sich von selbst. Er akzeptierte klaglos, dass es nur wenige Menschen gab, die sich mit ihm auseinandersetzten, obwohl er durchaus charmant sein konnte. Er war sogar in der Lage, sich anzupassen, in Grenzen natürlich und solange nicht Grundsätzliches anlag. Bei unwichtigen Dingen, die gab es ja auch, konnte er sogar ein Lächeln finden für Dummheiten, darüber hinwegsehen. Das hatte er sich beigebracht. Im Beruf hatte er keine Freunde mehr gehabt außer vielleicht Scheffer und Klein, die aber einen Mindestabstand zu ihm einhielten und ohnehin viel unterwegs waren wie er auch. Doch sie wussten, dass Henri ein ausgezeichneter Feldagent war, einer ihrer besten im Kalten Krieg. Aber seitdem waren die Helden nicht mehr gefragt.
    Henri hielt sich weiter in Form, als würde er noch gebraucht. Er war immer noch schlank und durchtrainiert, seine Gesichtskonturen waren kantig, die Haare extrem kurz geschnitten. Er hatte im Keller einen Fitnessraum eingerichtet, wie er ohnehin meist zu Hause blieb, weil draußen die Gefahr lauerte, immer noch, bis er tot war. Das wusste und respektierte er. Denn zwei und zwei sind vier, und es waren nicht alle Rechnungen beglichen. Er konnte es nicht vermeiden, ein kaufen zu fahren, und auch für andere Verrichtungen musste er sein Haus verlassen. Dann stieg er in seinen Citroën-Geländewagen, vergaß nie, die Walther PPK in den Anorak zu stecken, und schaute unterwegs fast ge nauso oft in den Rückspiegel wie nach vorn. Er registrierte jede Veränderung auf der gewohnten Route. Ob ein neuer Papierkorb an dem alten Haus mit der lehmbraunen Fassade und dem löchrigen Holzschindeldach angebracht worden war, ob ein Tourist sich auffällig verhielt, ob ein Fensterladen zur Unzeit geschlossen oder geöffnet war, ob ein Auto rückwärts eingeparkt war. Henri
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