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Das Mordkreuz

Das Mordkreuz

Titel: Das Mordkreuz
Autoren: Roman Rausch
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Heinleins Aufregung förmlich spüren. «Erzählt frei von der Leber weg.»
    «Linus kam als Erster zu mir», antwortete der Pfarrer, nachdem keiner Anstalten machte, den Mund aufzumachen. «Es klingelte gegen fünf Uhr an der Tür. Die alte Müllerin begleitete ihn. Sie hat ihn völlig verstört am Dorfplatz gefunden.»
    «Was war passiert?», hakte Kilian nach.
    «Das sollte Linus vielleicht selbst erzählen.»
    Der Pfarrer legte ermutigend die Hand auf die Schulter des Jungen. Schließlich begann er mit zittriger Stimme. «Ich bin die ganze Nacht umhergelaufen. Ich weiß nicht mehr, wo. Hauptsache, nur weg. Als die Sonne aufging, habe ich eine Straße erkannt und bin ihr nachgelaufen. Irgendwann war ich dann wieder hier.»
    «Du meinst, du bist im Kreis gelaufen», hakte Kilian nach. Linus nickte.
    «Wovor bist du weggelaufen?»
    Linus schwieg. Stattdessen griff er zum Glas und trank es mit einem Schluck leer.
    Der Pfarrer füllte die Pause. «Sie haben jemand gesehen.»
    «Wen habt ihr gesehen?»
    Der andere Junge fasste sich ein Herz. «Eine Frau. Sie kam aus dem Holunderbusch am Friedhof.»
    «Wer war sie?»
    Keiner der beiden wusste darauf eine Antwort.
    «Sie wollen eine Weiße Frau gesehen haben», sagte der Pfarrer.
    Verärgerung stieg in Kilian hoch. Genau das wollte er vermeiden. Der Pfarrer legte ihnen Aussagen in den Mund, die sie wohl selbst nicht getätigt hätten. «Bitte, lassen Sie sie antworten», sagte er mit dem Rest verbliebener Höflichkeit.
    Linus spürte das. «Es stimmt, es war eine Weiße Frau», protestierte er. «Wir haben sie mit eigenen Augen gesehen.»
    «Wisst ihr denn überhaupt, was eine Weiße Frau ist?», konterte Kilian.
    «Ja, der Pfarrer hat es uns erklärt», erwiderte der andere.
    «Gut, dann beschreibt sie mir. Ich kenne sie nämlich nicht.»
    «Sie trägt ein langes weißes Kleid», begann Linus. «Auch ihr Haar ist weiß und ihr Gesicht ebenfalls. Sie hat geweint, als sie auf uns zukam.»
    «Sie kam nicht», widersprach der andere, «sie schwebte. Frei in der Luft.»
    «Und wie hat sie das angestellt?»
    Sie hatten keine Erklärung dafür. «Wir haben es gesehen», bestand Linus auf seiner Beobachtung. «Sie stand wie ein heller Stern am Himmel. Ihre Haare und ihre Kleider wehten im Wind. Kein Scheiß, ich schwör’s.»
    «Kann es nicht eher sein, dass ihr zu viel getrunken und geraucht habt?»
    Die beiden fühlten sich herausgefordert. «Nicht mehr als sonst. Wir wissen, was wir gesehen haben.»
    «Und ich habe eure halb aufgerauchten Tüten gefunden. Daneben lagen leere Flaschen Bier und Schnaps. Wenn ihr nachher auf dem Revier eine Blut- und Urinprobe abgebt, werden wir erfahren, wie betrunken und bekifft ihr wart. Und ich wette, ihr seid es noch. Habe ich recht?»
    Ertappt rangen sie sich zu einer Antwort durch. «Ja, es stimmt. Wir haben was getrunken und geraucht. Aber wir haben das im Griff.»
    «Einen Scheiß habt ihr», fuhr Heinlein überraschend auf. «Wie lange geht das denn schon mit eurer Kifferei?»
    Kilian ging entschieden dazwischen. «Beruhige dich. Das klären wir später.» Zu den Jungen: «Okay, ihr habt also ordentlich was weggedrückt. Was ist dann passiert?»
    «Sven und Tom haben sich in die Haare gekriegt», begann Linus zu erzählen, und er wiederholte die Vorkommnisse der Nacht, bis zu dem Moment, als sie in alle Richtungen verstreut davonliefen. Letztlich seien sie wieder im Pfarrhaus aufeinandergestoßen. Als Letzter wäre Thomas vor einer halben Stunde eingetroffen.
    «Wo war er gewesen?», fragte Heinlein.
    «Er sagt», antwortete Linus, «er sei über die Felder gegangen und habe sich im Wald versteckt gehalten, bis er die Kirchenglocke gehört habe. Dann sei er in Richtung des Geläuts gelaufen.»
    Heinlein wägte die Antwort ab. Dann stand er auf, ging zur Tür und bestellte Thomas herein. Der setzte sich verängstigt an den Tisch.
    «Wo bist du die letzten Stunden gewesen?», fragte Heinlein, sichtlich um einen besänftigenden Ton bemüht.
    «Ich habe mich oben im Wald versteckt.»
    «War jemand bei dir?»
    «Nein.»
    «Noch einmal: Warst du allein im Wald, oder war einer der beiden bei dir?»
    «Ich war allein. Jeder von uns ist in eine andere Richtung getürmt.»
    Heinlein kämpfte mit sich und der Glaubwürdigkeit seines Sohnes. Dabei stierte er auf die Blutflecken an Thomas’ Jacke.
    Kilian entging es nicht. «Wohin ist Sven gelaufen?»
    Thomas zuckte die Schultern. «Keine Ahnung. Irgendwo anders hin.»
    «Hast du ihn später
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