Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Beatriz Williams
Vom Netzwerk:
ist ja nicht Ihre Schuld. Ich bin es gewohnt, dass man mich vor die Tür setzt. Gehört zum Job.« Bildete ich es mir nur ein, oder war das ständig in der Abteilung Kapitalmärkte herrschende rege Stimmengewirr verstummt? Ich spürte, wie sich Köpfe über die Trennwände reckten. An meinem Hals pulsierte eine Ader.
    »Jedenfalls«, fuhr er fort, ohne seine Augen von meinen abzuwenden, »tut es mir leid, dass ich Sie beinahe verpasst hätte.«
    »Ist es denn so langweilig da drin? Wahrscheinlich hätten wir ein paar Promi-Fotos dazwischenschmuggeln sollen, um Sie zu unterhalten.« Als ich meinen spitzen Ton hörte, hätte ich beinahe einen Satz gemacht. Es war witzig gemeint gewesen.
    Auch ihm fiel es auf, denn seine Augen weiteten sich, und dazwischen entstand eine winzige Falte. »Habe ich Sie gekränkt? Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte nur … wissen Sie, Sie haben mich ziemlich überrascht …« Er schüttelte den Kopf, als wollte er seine Gedanken ordnen. »Ich stelle mich recht ungeschickt an, stimmt’s? Ich möchte Sie wirklich um Verzeihung bitten.«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.« Ich schluckte, weil mir offenbar das Wasser im Mund zusammenlief. O Gott!
    Langsam öffneten sich seine Lippen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich seine rechte Hand, die seitlich hinabhing, öffnete und schloss. Ich wollte etwas sagen und ihn mit einer unvergesslich schlagfertigen Bemerkung beeindrucken, aber mein Gehirn war in Einfallslosigkeit erstarrt und konnte offenbar nicht verarbeiten, dass der legendäre Julian Laurence strahlend und höchstpersönlich vor mir stand und sich stotternd bei mir entschuldigte wie ein schüchterner Schuljunge, der es endlich wagt, sich seinem langjährigen Schwarm zu offenbaren.
    »Es ist nur so«, setzte er wieder an. Im nächsten Moment erschien zu unserer beider Überraschung eine große Hand auf seiner Schulter.
    »Da bist du ja«, ertönte eine barsche Stimme, die vermutlich dem Besitzer der Hand gehörte. Widerwillig wandte ich den Blick von Julian Laurence’ edel geschwungenen Wangenknochen ab und sah einen blassen, dunkelhaarigen Mann – genau das farbliche Gegenstück zu Julian –, der mich kühl und gleichmütig musterte. Er zog die Hand zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Julian seufzte tief und ungeduldig auf und verdrehte kurz die Augen. »Geoff Warwick, mein Börsenchef«, teilte er mir mit. »Geoff, das ist Kate Wilson.« Sein Ton war befehlsgewohnt, und er betonte fast unmerklich meinen Familiennamen.
    Höflich wie immer streckte ich die Hand aus, doch Geoff Warwick nickte nur eisig. »Miss Wilson«, sagte er.
    Julian wandte sich wieder zu mir um. Seine Miene war fragend oder sogar belustigt, und er zog eine Augenbraue hoch. Aber als unsere Blicke sich trafen, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Ein verschwörerisches Lächeln, eine Art Zwinkern.
    »Sollten wir nicht besser zurück in die Sitzung gehen?«, fragte Geoff leise.
    »Ja, natürlich«, erwiderte Julian. Sein Lächeln wurde strahlend, bis die unbewegte Büroluft vor purer Energie funkelnd vibrierte. »Kate – Miss Wilson –, es war mir ein ausgesprochenes Vergnügen.« Wieder griff er nach meiner Hand und umfasste sie eher, statt sie zu schütteln. Dann machte er kehrt, schritt geschmeidig wie ein geborener Sportler den Gang entlang und nahm das Leuchten mit. Geoff Warwick trottete wie ein Hund hinter ihm her.
    Hilflos starrte ich ihm nach und bemerkte es kaum, als sich Köpfe in meine Richtung drehten und danach, einer nach dem anderen, wieder hinter den Trennwänden verschwanden. In Gedanken hörte ich ausgerechnet Charlies Stimme: Altes Mädchen, das war verdammt schräg.
    Amiens
    Ich glaube nicht, dass ich lange bewusstlos war. Ich nahm Stimmen und Hände wahr; jemand berührte mich an Wange und Stirn und lockerte meinen Kragen. Offenbar lag ich auf jemandes Knie, und ein eisenharter Arm stützte mir den Rücken. Immer noch fielen Regentropfen unangenehm nasskalt auf meine Wange.
    »Wer zum Teufel ist sie, Ashford?«, fragte jemand viel zu dicht an meinem Ohr.
    Darauf ertönte Julians Stimme, so vertraut, dass mir Tränen in den Augen brannten: »Das können wir auch später noch klären, Warwick. Sie ist eindeutig krank.«
    Warwick. Geoff Warwick. Ich hatte den Akzent nicht erkannt.
    »Ihre Augenlider bewegen sich.«
    »Ja, das sehe ich. Fehlt Ihnen etwas, Madam? Können Sie mich verstehen?«
    Ich nickte. »Ja«, stieß ich hervor. »Verzeihung.« Mühsam
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher