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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Beatriz Williams
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offensichtlich erleichtert, dass er nicht wegen sexueller Belästigung vor ein Tribunal gezerrt werden würde. Ein quälend langweiliger Tag unseres Einführungslehrgangs vor drei Jahren war der Gleichberechtigungsfrage gewidmet gewesen. Allerdings bedeutete das nicht, dass sich die meisten meiner Kollegen groß darum geschert hätten. Jemand, der sich über den derben Umgangston in der Welt des Investmentbankings empörte, hatte ipso facto nicht den Mumm, um der eigenen Karriere gefährlich zu werden.
    »Nun, ich bin wahrscheinlich ganz in Ordnung«, erwiderte ich zögernd und betrachtete mein Spiegelbild im kalten blauen Schein des Computerbildschirms.
    »Sei nicht so streng mit dir, altes Mädchen. Du bist voll der Typ scharfe Bibliothekarin.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die blankpolierten schwarzen Schuhe auf das schimmernde Mahagoni. »Sei nicht beleidigt.«
    »Scharfe Bibliothekarin? «
    Er zuckte mit den Schultern. »Manche Typen stehen auf diesen Scheiß.«
    »Das ist das Einzige, was du im Kopf hast.«
    »Was?« Grinsend beugte er sich vor. »Los, Kate. Was habe ich im Kopf?«
    Die erste Lektion, die man an der Wall Street lernt, ist, dass man mitspielen muss. »Nichts als Mist, Charlie.«
    »Kate! Hast du gerade ein Kraftwort benutzt?«
    »Mist zählt nicht.«
    »Klar tut es das. Das ist wie Scheiß für Warmduscher.«
    »Wie geistreich, Charlie. Hast du das auch in Harvard gelernt?«
    »War nur ein Scherz, Kate. Wir sind alle begeistert, wie du hier das beschissene Niveau hebst.«
    »Gern geschehen.«
    »Und diese sittsame Tour aus Wyoming …«
    »Wisconsin.«
    »Egal. Erinnere dich nur an meine Worte, wenn Laurence … Ach, Scheiße.« Charlie nahm die Füße vom Tisch, wobei er fast mit seinem Stuhl umgekippt wäre. »Sie kommen.«
    Als ich ruckartig Habtachtstellung einnahm, schwappte mir kochend heißer Kaffee in den Rachen. Meine Hand wanderte nach oben, um das Gummiband von meinem Nackenknoten zu reißen, so dass mein Haar nur noch von einem schmalen Haarreif aus Schildpatt zusammengehalten wurde. Nicht unbedingt die elegante Geschäftsfrau, aber zumindest auch – danke, Charlie – kein Wesen, an dem eine Bibliothekarin verlorengegangen war. Hatte ich an das Lipgloss gedacht? Ich presste die Lippen zusammen. Leicht klebrig. Offenbar.
    Alicia war die Erste. Ihr Mund zuckte unkontrolliert, und sie hatte die Jacke aufgeknöpft, um ein aggressiv gebräuntes Dekolleté zur Schau zu stellen. »Kate, hier sind Sie ja.« Ihr Ton triefte vor gekünsteltem Bedauern. »Ich fürchte, ich muss Sie bitten zu gehen.«
    Ein ausgesprochen merkwürdiges Gefühl ergriff Besitz von mir – Schwindel, als ob der gesamte mit einem Teppich belegte Fußboden unter mir weggekippt wäre. »Gehen?«, wiederholte ich ungläubig. »Was meinen Sie mit gehen? «
    »Es tut mir ja so leid. Bioderma hat einen zusätzlichen Vertreter mitgeschickt.«
    »Was ist mit Charlie?«, zischte ich.
    »Der bleibt. Er ist eben, Sie wissen schon, ein bisschen professioneller .« Das letzte Wort ließ sie auf der Zunge zergehen und machte sich kaum die Mühe, ihr Lächeln zu verbergen.
    Ich hatte in Sachen Alicia schon oft in Rachephantasien geschwelgt. Meine liebste rankte sich darum, dass sie auf die schiefe Bahn geriet und die Bank im Rahmen eines spektakulären Karriereabsturzes in die Pleite riss. Meine Freude über ihren Untergang würde deshalb nicht auffallen, weil der Großteil meines Geldes in Aktien von Sterling Bates angelegt war. Oh, und außerdem würde ich natürlich arbeitslos werden. Und dennoch war es mir eine Genugtuung gewesen, um drei Uhr morgens in meiner gemütlichen Arbeitskabine über Alicias öffentliche Blamage zu sinnieren, ein sündiges Vergnügen, für das ich gewöhnlich bei Tage Abbitte tat.
    Damit war es jetzt vorbei.
    Ich starrte sie an und nahm die in dunkle Anzüge gewandeten Gestalten, die zur Tür hereinströmten, so dass sich der Raum rasch mit leutseligem Gelächter füllte, nur am Rande wahr. »Gut«, sagte ich schließlich und wandte mich an Charlie. »Es ist alles vorbereitet. Achte auf die neuen Zahlen.«
    »Mann«, stöhnte er leise.
    »Keine Sorge. Alicia wird das Reden übernehmen. Ich bin an meinem Schreibtisch, falls du mich brauchst.« Ich nahm meine Laptoptasche und marschierte zur Tür – vorbei an Banner mit seinem wettergegerbten solariumgebräunten Gesicht und dem entschuldigenden Grinsen; vorbei am Vorstandsvorsitzenden von Bioderma, der mich fragend ansah;
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