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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Beatriz Williams
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vorbei an zwei oder drei Männern, vermutlich Vertreter von Southfield. Der Letzte drehte sich nach mir um, so dass ich einen raschen Eindruck von erstaunt dreinblickenden Augen und einer ungewöhnlich strahlenden Schönheit erhielt. Aber ich blieb nicht stehen. Ich hörte nur noch, wie Banner uns vorstellte. »Und das sind unsere fleißigen Analysten Charlie Newcombe und Kate Wilson, die diese Präsentation für Sie zusammengestellt haben. Äh … Katie …?«
    Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und schnitt ihm das Wort ab.

    Wie ich Charlie versprochen hatte, ging ich auf direktem Weg in meine Arbeitskabine und legte das Telefon griffbereit neben mich auf den Schreibtisch. Ich hatte nichts zu tun. Mein Laptop stand zwei Stockwerke über mir im Konferenzraum und spulte die Präsentation ab.
    Eigentlich hätte ich froh sein sollen. Ich konnte mich einfach nicht an derartige Sitzungen gewöhnen, weil ständig eine Katastrophe drohte – zwanzig Zentimeter große Rechtschreibfehler auf dem Bildschirm, falsch beschriftete Diagramme, Tortengrafiken, bei denen die Gesamtsumme nicht hundert Prozent ergab, aus der Luft gegriffene Gewinnerwartungen, hübsch ordentlich und außerdem erstunken und erlogen. Ein wahres Tontaubenschießen für treffsichere Hedgefonds-Manager also.
    Allerdings war meine augenblickliche Situation – diese nervenzerrende Untätigkeit und das flaue Gefühl, dass ich einen Termin versäumt oder einen wichtigen Auftrag verschlampt hatte – auch nicht besser. In meiner Unruhe streckte ich die Hand aus und fuhr am Rand des einzigen gerahmten Fotos auf meinem Schreibtisch entlang. Es stellte nichts allzu Persönliches dar, nur Michelle und Samantha, wie sie irgendwann während unserer Europatour nach dem College vor Schloss Neuschwanstein standen. Samantha hatte den Arm um Michelles Schultern gelegt. Seitdem schien eine Lebenszeit vergangen zu sein. Ich kniff die Augen zusammen, versuchte mich an die lachende Kate zu erinnern, die dieses Foto gemacht hatte, und verglich sie mit dem in ein Kostüm gewandeten Geschöpf, in dessen Hülle ich inzwischen lebte. Manhattan-Kate. Kate, die unerreichbare Investmentbankerin.
    Nach einer Weile stand ich auf und ging auf die Toilette, nicht, weil ich musste, sondern weil ich damit, wenn auch nur kurz, die Zeit totschlagen konnte. So lange wie möglich trödelte ich am Waschbecken aus schwarzem Marmor herum, wusch mir übertrieben gründlich die Hände, ließ den Wirbelsturm aus dem Handtrockner auch noch das kleinste Wassertröpfchen vertreiben und fasste mein Haar wieder mit dem Gummiband zusammen. Das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte, war düster, besorgt und fremd.
    Nachdem ich mein schweigendes BlackBerry vom Waschbeckenrand genommen hatte, kehrte ich durch das Gewirr aus identischen grauvioletten Arbeitskabinen zu meiner eigenen zurück, wo ich erschrocken innehielt.
    Ein hochgewachsener, schlanker Mann stand völlig reglos und eine Hand auf die Lehne meines Stuhls gestützt da. Seine Locken schimmerten dunkelgolden in der gnadenlosen Bürobeleuchtung; sein breiter wohlgeformter Rücken war über meinen Schreibtisch gebeugt.
    »Verzeihung«, sagte ich scharf. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Abrupt richtete er sich auf und drehte sich zu mir um. »Kate«, hauchte er.
    Ich zuckte zusammen. Dieser Mann war unbeschreiblich schön. Sein Gesicht war so ebenmäßig wie das einer klassischen Statue und wirkte beinahe exotisch. Lebhafte Augen saugten meinen Anblick förmlich in sich auf. Wenn er nicht einen ganz gewöhnlichen gelben Sterling-Bates-Besucherausweis am rechten Revers seines Sakkos getragen hätte, ich hätte beinahe gedacht, dass ich an Halluzinationen litt.
    »Das heißt, Miss Wilson«, verbesserte er sich rasch. Seine volltönende Stimme klang wie aus einem der alten Hollywoodfilme, die am Freitagabend im Klassikkanal liefen. John Gielgud vielleicht. Oder Lionel Barrymore. Er hielt mir die Hand hin. »Julian Laurence.«
    »Oh«, murmelte ich und schüttelte sie. »Sie sind Brite.« Warum musste ich ausgerechnet so etwas Dämliches sagen?
    Er lächelte. »Ich bekenne mich schuldig.«
    »Sollten Sie nicht in der Sitzung sein?«
    »Entschuldigen Sie die Störung. Ich wollte Sie nur um Verzeihung bitten, weil … wegen der Art und Weise, wie man Sie …« Seine Stimme erstarb; sein Blick wurde, wenn überhaupt möglich, noch eindringlicher, ein eigentümlicher lodernder Ausdruck.
    »Ach, das war doch nicht nötig«, stammelte ich. »Es
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