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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Autoren: Catherina Rust
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bleiben oder bald wieder zurückzukehren, sollte ein Haus für mich gebaut werden. Ein eigenes Haus für Katarischi in Neu-Mashipurimo.
    Während ich darüber nachdachte, ließ ich meinen Blick über den Fluss schweifen. Dort drüben, am anderen Ufer, war vor langer Zeit mein Zuhause gewesen. Ich streifte meine Schuhe von den Füßen, zog mich aus und stieg in das eiskalte Wasser. Hier oben war der Fluss deutlich kühler als in Bona. Besorgt schauten mir Antonia und Araiba hinterher. Das Tosen der nahen Stromschnelle dröhnte in meinen Ohren. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Ich entdeckte den alten, inzwischen versandeten Hafen. Die Planken der Anlegestellen waren schon lange vermodert. Nach ein paar Schwimmzügen kehrte ich um und stieg aus dem Wasser. Antonia wartete bereits in einem kleinen Boot auf mich. Ein Ausflug zur Insel stand an. Zur Insel der Frauen, auf der Tanshi vor vielen Jahren vor meinen Augen auf die Welt gekommen war.
    Als wir ausstiegen, bot sich uns ein zauberhafter Anblick. Fünf kleine Hütten, im Halbkreis angeordnet, dazwischen verstreut ein paar Mangobäume. Das war also die neue Sommerresidenz von Antonia und Araiba. Da die Frauen zum Entbinden ihrer Kinder inzwischen in die Klinik in der Stadt flogen oder zur Krankenstation in Bona gingen, war der einst verbotene Ort aufgegeben worden. Zu schade, hatten Araiba und Antonia befunden. Und so hatten sie ihr »F erienhaus« auf der Fraueninsel errichtet, ihrer normalen Wohnstätte direkt gegenüber. Der Blick, den man von hier über die weite Bucht von Mashipurimo hatte, war atemberaubend. Antonia holte einige Bastmatten aus der Hütte, damit wir bequem sitzen konnten. Araiba wollte noch einmal wissen, ob ich mir vorstellen konnte, für immer an den Amazonas zurückzukehren. Doch während mein Herz längst wieder Wurzeln geschlagen hatte, sagte mir mein Kopf, dass es nicht geht.

    Neu-Mashipurimo, in der Mitte Antonias Haus
     
    Nach rund sechs Wochen Aufenthalt im Urwald bestieg ich schließlich ein zweites Mal das Lufttaxi Richtung Heimat. Diesmal war Araiba mit zum Flugplatz gekommen. Er hatte seinen schönsten Feiertagslatz angelegt, dazu Perlenschmuck. Als wir uns verabschiedeten, hatte er ein Lächeln auf den Lippen. Gleichwohl war uns beiden bewusst, dass es der letzte Abschied sein würde. »W enn du wieder zurückkehrst, werde ich schon nicht mehr hier sein«, sagte er. Ich wollte protestieren, doch ich wusste, dass er Recht hatte.
    Antonia gab mir eine Liste mit, was ich das nächste Mal mitbringen sollte. Ein Mittel, das die Haare auch im Alter schwarz hielt, ein paar größere Kochkessel und andere Gebrauchsgegenstände. Und mein künftiges Kind, damit sie es segnen konnte. Sie rang mir ein Versprechen ab: Ich sollte den Menschen da draußen von den Aparai-Wajana im Urwald erzählen. Von ihrer uralten Kultur, an die sich die eigenen Nachfahren schon bald nicht mehr erinnern würden. Von Menschen, die vielleicht schon bald nicht mehr hier leben würden, weil ihre Umwelt bedroht war. Ich sollte die Geschichte ihres Volkes erzählen, die auch Teil meiner eigenen Geschichte geworden war.

    Letzter Abschied von Araiba
     

Haben die Urvölker Amazoniens noch eine Zukunft?
     

Nachtrag: Zerstörung der Zukunft?
     
    »U nd wann fahren wir nun endlich an den Amazonas?«, will meine Tochter heute von mir wissen. Wenn ich sehe, mit welcher Begeisterung sie sich für die Indianer interessiert, für ihre Lebensweise, ihre Kunst, ihre Überlieferungen, dann habe ich Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren ist. Dass künftige Generationen aus den Fehlern der vergangenen lernen werden – damit sie eine Zukunft haben.
    Wenn ich heute allerdings die Zeitungen aufschlage oder die Nachrichten anschaue, vergeht mir rasch der Optimismus. Wir erleben gegenwärtig, wie sich eine der letzten Urlandschaften unserer Erde in eine Mondlandschaft verwandelt. Quadratkilometer für Quadratkilometer wird der Regenwald gerodet, um dort endlose Felder mit Soja, Mais oder Zuckerrohr anzulegen. Staudämme der Superlative bringen das fragile Gleichgewicht ins Wanken, ganze Landstriche drohen zu veröden, die Lebensgrundlage vieler Tausender Ureinwohner ist gefährdet. Obwohl Fachleute und selbst ehemalige Befürworter den wirtschaftlichen Erfolg und den Nutzen inzwischen offen anzweifeln und auf die katastrophalen ökologischen Auswirkungen hinweisen, wird weiterhin an Prestige-Projekten wie dem Staudamm Belo Monte festgehalten, an dem
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