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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Autoren: Catherina Rust
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Drohungen zum Trotz.
    Das ständige Gerede von Wiedergeburt, Erlösung, den Wundern und Jäääsuu jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Der Fanatismus, der mir hier begegnete, hatte nicht viel mit dem Glauben gemein, den ich aus meiner Schulzeit kannte. Aus Gottesdiensten mit meiner katholischen Großmutter, aus Messen, die ich mit meinen evangelischen Schulfreunden besucht hatte, aus den Sommerferien in einem christlichen Ferienlager, bei dem es vollkommen gleich war, welcher Religion man angehörte. Ich hatte eine Form des Christentums kennengelernt, die andere Glaubensgemeinschaften tolerierte und sie als Bereicherung erkannte.
    Hier hingegen ging es nicht um Toleranz, sondern um die Anzahl bekehrter Seelen. Bilder farbenfroher »i ndianischer« Gottesdienste zierten Publikationen, die amerikanischen Gläubigen in der »e rsten Welt« wie Trophäen präsentiert wurden. Ein ganzer Stamm bekehrter Amazonasindianer machte sich offenbar prima in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Kreuzritter der Gegenwart benutzten dabei weder Waffen noch rohe Gewalt. Ihre Methoden waren viel subtiler – was sie nicht minder gefährlich machte. Die nordamerikanische Missionarsfamilie, der ich während meiner Kindheit begegnet war, hatte das Land schon lange verlassen. Ihre Botschaft jedoch war geblieben. Nach ihnen waren andere gekommen und hatten den Weg für eine Entwicklung geebnet, die nicht mehr aufzuhalten gewesen war und die zur Spaltung bis dahin funktionierender Gemeinschaften geführt hatte. Uraltes indianisches Gedankengut war Schritt für Schritt unterwandert worden. Erst abgelöst, dann ausgelöscht. Inzwischen wurden die Messen von geschulten indianischen Predigern gehalten, die in regelmäßigen Abständen neue »A nweisungen« aus Amerika erhielten. Nebst einer angemessenen Bezahlung, versteht sich. Einer jener Prediger gab auf meine kritischen Nachfragen hin zu, dass er diese neue Religion auch nicht so recht verstand. Aber was zählte, sei schließlich, dass man als bekennender Christ in den Himmel komme, während alle Nicht-Christen später in der Hölle schmoren würden.
    Begleitet von aufmunternden Worten wurden schließlich auch mir diverse bunte Plastikbibeln in die Hand gedrückt. Sie enthielten Geschichten über die Sündhaftigkeit der Menschen und verbreiteten die Kunde des nahenden Weltuntergangs. Sie waren derart wild illustriert, dass ich Mühe hatte, beim Durchblättern ein ernstes Gesicht zu machen. Ich wollte niemanden beleidigen, doch ich war ein genauso hoffnungsloser Fall wie Großvater Araiba. Er schien unglaublich erleichtert, als er bemerkte, dass auch ich für derartige Bekehrungsversuche nicht empfänglich war. Eines Abends erzählte er mir im Vertrauen, dass die anderen ihn einen »T eufelssohn« nannten. Antonia schüttelte verärgert den Kopf. Den würdevollen und weisen alten Araiba als Sohn des Satans zu verunglimpfen! So eine Frechheit, das hätte früher keiner gewagt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Als ich spürte, wie tief ihn diese Sache traf, meinte ich lachend: »N a, dann hat der Teufelssohn wohl gerade Verstärkung aus Deutschland bekommen.«
    Mashipurimo heute
     
    Einige Tage später erwachte ich bereits um fünf Uhr morgens durch lautes Gepolter. Alle waren längst auf den Beinen und am Packen. Nach einem starken Morgenkaffee von Araiba, einer tiefschwarzen Brühe mit viel Zucker darin, erwartete uns der gute alte Jackä an seinem Boot. Inzwischen hatte er nur noch zwei Zähne im Mund. Nach wie vor zog er als fliegender Händler von Dorf zu Dorf, und die speckige Baseballmütze auf seinem Kopf sah genauso aus wie jene, die er am Tag des Hornissenüberfalls getragen hatte.
    Jackä kannte den neuesten Klatsch und Tratsch ebenso wie die aktuellen Goldsucherplätze, an denen illegale Schürfer mal wieder ihr Glück im Urwald suchten. Mit reichlich Quecksilber. Auf diese Weise war er zu einer Art »F rühwarnsystem« für die am Paru lebenden Menschen geworden.
    »K ann ich hier das Wasser direkt aus dem Fluss trinken?«, erkundigte ich mich.
    »J aja«, bedeutete mir Jackä mit einem eifrigen Nicken. Die Goldschürfer seien momentan weit weg und das Flusswasser noch recht sauber an dieser Stelle. Ich beugte mich hinunter, schöpfte eine Handvoll Wasser und trank aus der Handfläche. Wer brauchte schon ein Glas, wenn er den ganzen Fluss zum Trinken hatte?
    Kurz darauf machten wir uns auf den Weg nach Mashipurimo. Das Einbaumkanu meiner Wahlfamilie wäre mir ohne
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