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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Studienabschluss für ihn unerreichbar ist. Umso mehr hofft er, dass Mendy vielleicht heute Nacht in seinen Träumen erscheint.

Kapitel 2
    Das umgekippte Vogelnest

    »Das Essen ist fertig!«, ruft Tubai. Er kommt aus der Küche und stellt drei Schalen dampfende Nudeln auf den Tisch.
    Es ist kurz vor elf. Im Restaurant ist noch kein Gast zu sehen. Die beiden Köche und Mendy stärken sich vor der Arbeit. Die Tür steht weit offen, um frische Luft hereinzulassen.
    »Ich bin gleich da!«, ruft Mendy, glättet die letzte Tischdecke und trägt dann eilig den Wäschekorb in die Kammer hinter der Küche. Koch Lin, der eben noch mit der Vorbereitung der Peking-Enten beschäftigt war, legt wortlos die Schürze ab und steuert auf den Tisch mit den Nudeln zu. Kaum hat er sich auf seinen Stammplatz gesetzt, streckt er die Hand aus und holt sich das Glas Orangensaft, das neben Mendys Schale steht. »Du wirst es wohl nie lernen«, sagt er zu Tubai, der gerade etwas frischen Schnittlauch über die Schalen streut. »Das erste Getränk ist immer für den Meister.« Ein vorwurfsvoller Blick begleitet den Tadel.
    Tubai starrt den Koch lange an, sagt jedoch nichts, sondern entscheidet sich wie so oft in seinem Leben fürs Ausweichen. Er bringt das Schnittlauchbrett in die Küche, geht zur Theke mit den Getränken, holt ein frisches Glas Orangensaft und stellt es an Mendys Platz. An seinem eigenen Platz steht nach wie vorkein Getränk.
    »So ein dummer Bauer wie du, der kein Gramm Tinte im Bauch hat, ist schwer zu erziehen«, spottet Lin und fängt an zu essen.
    Als Tubai sich gesetzt hat, kommt Mendy. »Hmm, die hausgemachten Nudeln esse ich für mein Leben gern. Es riecht schon von Weitem so lecker«, sagt sie. Der junge Mann führt die Schale zum Mund und senkt verlegen den Kopf, er weiß nicht, ob Mendy gehört hat, was Lin gerade zu ihm gesagt hat. Eine Weile hört man nur die Männer schweigend die Nudeln herunterschlürfen, wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt sind.
    Auch Mendy macht sich über die Suppe her, versucht aber, nicht wie die Männer zu schmatzen. Nachdem sie ihre Schale zur Hälfte geleert hat, hebt sie den Kopf und wischt sich den heißen Dampf von der Stirn. Da stutzt sie. »Sag mal, Meister Lin, seit wann trinkst du denn Orangensaft? Hast du nicht gesagt, der sei zu sauer für deinen Magen?«
    »Manche Leute denken, dass sie Westler sind, sobald sie den Boden Europas betreten«, grinst der Koch. »Aber unser Tubai hat wohl gemerkt, dass er immer noch gelb ist, und will sich jetzt an die Tradition halten und seinem Meister Respekt zollen. Er hat sich daran erinnert, dass man seinem Lehrer so dienen soll wie dem eigenen Vater.«
    Lin macht sich auf seinem Stuhl breit und greift mit feierlicher Geste nach seinem Glas. Der Saft scheint ihm allerdings gar nicht zu schmecken, denn er stellt ihn rasch wieder hin. »Nun ja, die jungen Leute legen kaum noch Wert auf Tradition«, sagt er säuerlich. »Alsich kochen lernte, hat mein Meister mich regelmäßig verprügelt. Er wollte, dass ich mich konzentriere und das Kochen von ganzem Herzen liebe.«
    Überrascht schaut Mendy hoch. Sie mustert den Koch mit glänzenden Augen. »Meister Lin, du hast bislang gar nichts davon erzählt, dass du einen privaten Meister als Lehrer gehabt hast. Hast du nicht gesagt, du hättest an einer Fachhochschule studiert?«
    Aber der Koch geht gar nicht auf Mendys Frage ein, sondern klopft mit den Stäbchen gegen die leere Schale. Ein ernstes Zeichen des Tadels. »Wenn ich damals meinem Meister solche Nudeln gekocht hätte«, sagt er mit verächtlichem Blick, »dann hätte er mich grün und blau geschlagen.«
    »Wieso denn?«, fragt Mendy verblüfft. »Die Suppe schmeckt doch gut. Nach Hühner- und Schweinefleisch, nach …« Die Worte gehen ihr aus. »Jedenfalls schmeckt sie gut.«
    Tubai schaut zur Seite, als wollte er sich am liebsten verkriechen.
    Der Koch verzieht spöttisch die Lippen. »Merkst du nicht, dass die Gewürze nicht harmonieren? Die Suppe hat keinen Geist. So was darf man nur auf dem Bahnhof verkaufen, wo die Gäste in Eile sind und alles hinunterschlingen, was ihnen hingestellt wird. Ich habe nur mitgegessen, um unseren Lehrling hier nicht zu kränken.«
    Tubai blickt zu Boden, und Mendy starrt den jungen Mann verblüfft an. Er ist doch kein Lehrling. Will er sich denn gar nicht wehren? Warum ist er bloß so schwerfällig und so geduldig? Mendy ärgert sich überTubais Tatenlosigkeit, will aber Lins Worte nicht unerwidert im
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