Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Raum stehen lassen.
    »Meister Lin, du hast nicht die Wahrheit gesagt, oder? Ich habe doch gehört, wie du vorhin ganz zufrieden geschmatzt hast. Eher der Orangensaft hat dich säuerlich gestimmt.«
    »Du kannst zwar gut kellnern, Kind«, sagt der Koch mit einem abschätzigen Lächeln. »Aber ob man aus Hunger oder aus Genuss schmatzt, kannst du offenbar nicht unterscheiden.«
    Mendy ist wütend. Am liebsten würde sie dem Koch sagen, dass Tubais Nudelsuppe ihr besser schmeckt als alles, was Lin je gekocht hat. Aber sie darf keinen Streit vom Zaun brechen, das hat ihr der Vater verboten. Also senkt sie den Blick in die Schüssel und schluckt.
    Plötzlich kommt Lin auf ein anderes Thema zu sprechen: »Sag mal, Mendy, du wirst wohl bald nicht mehr hier arbeiten, was? Mit dem BWL-Abschluss in der Tasche bist du doch ein begehrtes Dampfbrötchen. Du willst in ein Haus mit höherer Türschwelle, stimmt’s?«
    »Willst du damit andeuten, dass ich beizeiten für deine Frau Platz machen soll?«, fragt Mendy gespielt unschuldig.
    Lin wirft der Tochter seines Chefs einen stechenden Blick zu, sagt aber nichts.
    In diesem Augenblick kommt eine gut gekleidete junge Chinesin in Rock und Stiefeln herein. »Mendy!«, ruft sie erfreut. »Gut, dass ich dich gefunden habe. Ich brauche dringend deine Hilfe.« Das ist Chen Peipei,Mendys Freundin von der Universität und ihre Kollegin im Restaurant. Sie hat etwas Theatralisches an sich, so als wäre sie für die Bühne geboren. Mit schwingenden Hüften nähert sie sich der Runde.
    »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«, ruft Mendy, legt die Stäbchen zur Seite und geht auf die Freundin zu. »Du siehst ja aus wie der Struwwelpeter.«
    Peipei zupft an Mendys lang über den Rücken herabhängendem Zopf und lächelt überlegen. »Ach, Schätzchen, du bist so naiv. Was ich da auf dem Kopf trage, nennt man Vogelnest , das ist in China gerade der ganz große Hit.«
    Mendy geht einmal um die Freundin herum und betrachtet das Kunstwerk genauer. »Hm, sieht tatsächlich aus wie das neue Olympiastadion in Peking. Vielleicht sogar besser.«
    »Finde ich auch«, sagt Peipei und wirft sich demonstrativ in die Brust. Nachdem sie die Männer mit einem Lächeln begrüßt hat, hebt sie die Nase und schnuppert. »Aha, ihr kocht das leckerste Essen wieder mal für euch selbst, und die Gäste kriegen das Abwaschwasser, nicht wahr?«
    Mendy strahlt, als hätte sie eine Schlacht gewonnen, und sogar der schweigsame Tubai macht endlich den Mund auf und fragt die Besucherin, ob er ihr auch eine Schale holen soll. Doch Peipei winkt ab. »Geht nicht. Ich muss auf meine Figur achten.« Sie fährt mit der Hand vom Busen zur Hüfte, und alle Blicke folgen dem Weg ihrer Hand. Es ist nicht zu übersehen, dass diese junge Frau es versteht, die Aufmerksamkeit auf sichzu lenken.
    Kaum hat Mendy ihre Nudeln aufgegessen, zieht Peipei sie zum Nachbartisch, um mit ihr allein zu sprechen. Tubai räumt den Tisch ab und verschwindet mit dem schmutzigen Geschirr in der Küche. Ehe er mit der Arbeit anfängt, bringt er den Frauen noch eine Kanne Tee und ein Tellerchen gesalzene Bohnen. Überrascht schaut Peipei ihm nach, als er sich wortlos zurückzieht. »Er will sich wohl bei dir einschmeicheln, was? Mir hat er noch keine Bohnen gebracht, wenn ich Dienst hatte.«
    Mendy schüttelt den Kopf. »Du kannst manchmal sehr blind sein. Tubai will sich dafür bedanken, dass du die Nudeln gelobt hast«, erklärt sie. »Wenn jetzt Gäste kommen, muss ich sofort aufspringen. Also sag, was du von mir brauchst.«
    Peipei lässt sich nicht zweimal bitten. Sie klappt ihre flotte Ledertasche, Marke Camel, auf und holt ein paar Fotokopien heraus. »Meine Hausarbeit für die Uni. Kannst du sie vielleicht Korrektur lesen? Ich muss sie spätestens morgen abgeben.«
    Mendy blättert die Arbeit durch. Zwanzig Seiten. Ein leichter Seufzer entfährt ihrer Brust. Sie sind zwar beide vor sechs Jahren aus China nach Berlin gekommen. Aber Peipeis Deutsch ist immer noch wie eine Schale Reis voller Sandkörner. Um diesen Text zu glätten, wird Mendy mehrere Stunden brauchen. Dabei muss sie doch fürs Restaurant arbeiten.
    »Kann das nicht Yulin für dich machen? Sie hat deine letzte Hausarbeit doch hervorragend redigiert.« Ru Yulin ist die gemeinsame Freundin der beiden. Genauer gesagt, Mendy, Peipei und Yulin sind ein eingeschworenes Trio. »Die Eisenschwestern« nennen sie sich, weil ihre Freundschaft so stark wie Eisen sein soll. Mit achtundzwanzig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher