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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Vers nach dem anderen zu singen, damit er besser folgen kann, geht sie darauf ein.
    Er hat gerade das halbe Lied gelernt, da öffnet sich die Eingangstür und ein Chinese mittleren Alters betritt den Saal. Es ist der Restaurantbesitzer Guan Baohan.
    Der Anblick, der sich ihm bietet – seine adrette Tochter mit einem langhaarigen Musiker –, stört ihn gewaltig. Seine dicken Augenbrauen tanzen ein paarmal auf und ab, dann sinken sie wie zwei Balken auf die Augen herab, und sein Gesicht wird sehr ungemütlich. »Wir schließen jetzt!«, ruft er. »Sonst rückt womöglich noch die Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung an.«
    »Ich komme gleich, Papa«, ruft die junge Frau dem breiten Rücken des Mannes nach, der in sein Büro verschwindet. Dann wendet sie sich dem Gitarristen zu und schiebt verlegen die Zunge hervor. »Tut mir leid. Ich hab vergessen, dass man hier nachts nicht mehr singen darf.«
    »Ist das dein Vater?« Oswald kann sich nicht vorstellen, dass die beiden zu ein und derselben Familie gehören.
    Aber Mendy hat keine Zeit für Konversation. Sie streckt ihm die Hand entgegen. »Auf Wiedersehen.«
    »Ich bin Oswald. Sagst du mir deinen Namen?« Während er nach ihrer Hand greift, sucht er ihren Blick. Aber die junge Frau hat es plötzlich sehr eilig. Sie hält ihm die Tasche hin, damit er seine Gitarre hineinpacken kann. »An der Uni werde ich Mendy genannt.« Und während sie nach hinten eilt, ruft sie ihrem Kollegen zu: »Tubai, begleitest du Oswald zur Tür, ja?«
    »Was bedeutet Mendy ? Wirbelwind, oder?«, ruft Oswald ihr nach, während er den Reißverschluss seiner Jacke hochzieht.
    »Ja. Vorhin Wind ganz schlimm. Fenster beben«, sagt der junge Chinese und lächelt den Gast freundlich an. Er ist sich nicht sicher, ob er den Deutschen richtig verstanden hat.
    Hinten vor der Bürotür muss Mendy warten. Der Koch Lin Yaonan ist ihr zuvorgekommen und spricht gerade mit ihrem Vater. Er hat schon die wattierte Winterjacke angezogen, weil er nach Hause gehen wollte. Als er den Besitzer des Restaurants hat kommen sehen, hat er es sich anders überlegt und ist ihm ins Büro gefolgt.
    »Lange nicht gesehen, Boss Guan«, sagt er.
    Der Restaurantbesitzer sitzt am Schreibtisch. Er brummt etwas Unverständliches und beugt sich über sein Hauptbuch.
    Aber der Koch lässt sich nicht abschrecken. »Boss Guan, der Januar ist schon fast zu Ende. Du hast versprochen, mir zu Neujahr eine Gehaltserhöhung zu bewilligen.«
    Guan Baohan ist nicht immer Restaurantbesitzer gewesen. Ursprünglich war er Mitte der Achtzigerjahre nach Deutschland geschickt worden, um an der TU Berlin Maschinenbau zu studieren. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz desHimmlischen Friedens brachte ihm dann in der Ferne ein unerwartetes Glück: Er durfte in Deutschland bleiben. Maschinenbauingenieur wurde er nicht, aber er hat jeden Pfennig gespart, Kredite aufgenommen und mit dem Restaurant sein Glück gemacht. Heute ist er ein wohlhabender Mann, eine Stütze der Gesellschaft, und sein Leben läuft wie ein Uhrwerk. Doch begonnen hat alles hier, in der Strahlenden Perle  …
    Jetzt zieht er ungehalten die buschigen Augenbrauen zusammen. Er hebt den Kopf und lässt seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern wirbeln, sodass der laut auf den Tisch klopft. »Verdreh mir nicht die Worte im Mund. Ich habe nur gesagt, ich werde es mir überlegen. Und auch nur, wenn der Umsatz sich wieder bessert.«
    »So was hast du schon vor einem Jahr gesagt. Und der Laden läuft nicht schlecht. Jedenfalls muss ich immer mehr arbeiten.«
    »Ach ja? Du weißt besser Bescheid als ich, ja? Wenn ich dir sage, die Einnahmen sind nicht gestiegen, dann kannst du mir das glauben.« Boss Guan wird ironisch. »Was deine Arbeit betrifft, ist mir einiges zu Ohren gekommen. Die Gäste sind mit dem Essen nicht mehr so zufrieden wie früher. Hast du das noch nicht bemerkt?«
    Als Lin die Aussichtslosigkeit seiner Forderung bewusst wird, verdüstern sich seine Züge. Aber er will nicht gleich aufgeben. Er schließt die Tür hinter sich und sagt mit verzogenem Gesicht: »Boss Guan, ich brauche dringend viertausend Euro, um meine Frau nach Berlin zu holen. Kannst du mir denn vielleichtanders helfen?« Um bei seinem Chef Mitleid zu erwecken, beginnt der Koch hastig von seiner kranken Mutter in der fernen Heimat zu erzählen und von seiner Frau, die mit dem einjährigen Sohn zu Hause in China lebt und Sehnsucht nach ihm hat. Doch Boss Guan unterbricht ihn
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