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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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goldene Farbe und enthält vielerlei: geronnenes Hühnerblut, Seegurke, Duftpilze, Tofu, Hühnerfleisch, Schweinefleisch und Schinken in dünnen Streifen. Hier in Berlin mussten Seegurke und Hühnerblut natürlich sofort aus der Suppe verschwinden, und auch der scharfe Geschmack kam nicht so gut an. Also machte man aus der Sauerscharf- eine Süßsauersuppe. Sie ist die Spezialität der Strahlenden Perle und wirkt wie Champagner. Wenn die Gäste eine Schale davon gegessen haben, wird ihnen so warm, dass sie gleich anfangen zu lachen und miteinander zu scherzen.
    »So, so, eine Suppe. Da sage ich nicht Nein. Wann machen Sie auf?«
    »Kommen Sie morgen um zwölf«, sagt die junge Frau, die nach wie vor auf dem Tisch steht. Als der ungebetene Gast sich noch immer nicht rührt, kichert sie überfreundlich. »Ah, junger Mann, und ziehen Sie bitte die Tür richtig zu, wenn Sie rausgehen. Auf Wiedersehen.«
    Oswald macht zwei Schritte in Richtung Ausgang, dreht aber gleich wieder um. »Ihre Lieder klingen sehr schön«, ruft er. »Darf ich Sie auf meiner Gitarre begleiten?« Um jedem Widerspruch zuvorzukommen, greift er sich einen Stuhl und beginnt sein Instrument auszupacken.
    »Ach ja?« Die Frau kneift die Augen zusammen und sieht ihn scharf an. Mit seinem schulterlangen Haar und seinen weichen, fast kindlichen Bewegungen wirkt der Mann zwar nicht wie ein Räuber, dennoch ist ihr seine Hartnäckigkeit zu dieser späten Stundeunbehaglich. Sie schaut auf die Uhr, und ihre Bewegungen werden nervös. Sie zieht sich die Schuhe an und springt vom Tisch. Der jüngere Chinese eilt sofort herbei, um ihr zu helfen, und als sie beim Landen für einen kurzen Augenblick zu fallen droht, greift er nach ihrem Arm.
    » Laihama xiang chi tian’erou  – Es gelüstet die Kröte nach Schwanenfleisch«, knurrt der ältere Mann mit der Schürze und wirft einen stechenden Blick auf den Jüngeren. Er drückt auf den Aus-Knopf der Stereoanlage und verschwindet nach hinten.
    Der junge Chinese lässt Mendy hastig los und schaut verlegen zu Boden. Die junge Frau scheint nichts bemerkt zu haben. »Nun? Haben wir deinen Geburtstag gut gefeiert?«, fragt sie auf Chinesisch. »Ich hoffe, du träumst heute Nacht von zu Hause.«
    »Danke«, sagt der junge Mann. »Wenn du singst, ist die Heimat sofort da.«
    Mendy dreht den Kopf ein wenig zur Tür, wo der Eindringling angefangen hat, seine Gitarre zu stimmen. »Geh zu ihm und hör ihm einen Augenblick zu«, sagt sie zu ihrem Kollegen. »Vielleicht hat ihn der Himmel zu deinem Geburtstag geschickt.« Sie beginnt aufzuräumen. Auf einem der Tische stehen der kleine Rest einer Geburtstagstorte und einige Teller. Während sie die Sachen in die Küche trägt, murmelt Mendy: »Es ist schon so spät. Wo steckt nur mein Vater?«
    Der junge Chinese geht langsam auf Oswald zu. Er hat verstanden, was Mendy will: Er soll den ungebetenen Besucher so höflich wie möglich vertreiben. Daihm Schweigen leichterfällt als sein gebrochenes Deutsch, sagt er nichts, sondern verbeugt sich nur vor dem Gast.
    Der Deutsche verbeugt sich ebenfalls. »Oswald«, sagt er und legt feierlich die Hand aufs Herz.
    »Tubai«, erwidert der andere und macht es ihm nach. Es ist wie die erste Begegnung eines Entdeckungsreisenden mit den Bewohnern einer unbekannten Küste am anderen Ende des Meeres.
    Mendy, die in der Küche die Teller abwäscht, hält inne und horcht, als Oswald zu spielen beginnt, dann kehrt sie zurück in den großen Raum und klatscht in die Hände. »War das ein spanisches Lied?«
    Oswald nickt und starrt sie mehr als neugierig an. Sie hat ein mandelförmiges Gesicht. Ihre Augenbrauen erinnern an die feinen Pinselstriche der chinesischen klassischen Malerei, und ihre Lippen … Unwillkürlich denkt Oswald ans Küssen.
    Mendy tut so, als ob sie seinen Blick nicht bemerkt. »Können Sie auch was Chinesisches?«
    »Singen Sie mir etwas vor!«, sagt Oswald. »Sie werden sehen, was meine Gitarre kann.«
    »Ach ja? Sind Sie ein Tonbandgerät?« Die Kellnerin schürzt kampflustig die Lippen und nähert sich langsam. Dann öffnet sich plötzlich ihr Mund, und eine komplizierte Melodie mit schnellem Rhythmuswechsel und spitzen Trillern dringt zwischen den perlweißen Zähnen hervor.
    Oswald lacht in sich hinein. Er hat es geschafft, die schöne Stimme wieder zum Singen zu bringen. Leider hat er sich nur das Ende der Melodie merken können,aber dennoch zeigt die junge Frau sich beeindruckt. Als Oswald sie bittet, langsam einen
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