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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte
Autoren: Khadra Sufi
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aus der Praxis, raus aus der Wohnung, raus aus der Stadt. Irgendwie musste sich mein Leben ändern, aber wie?
    Eines Abends, als ich von der Arbeit nach Hause kam, hatte ich Post von einer Medienagentur im Briefkasten, bei der ich mich mal vorgestellt und die mich in ihre Kartei aufgenommen hatte. Es war eine Einladung zu einem Casting für eine Realityshow: Big
Brother . Es waren schon drei Staffeln gelaufen, aber ich kannte die Show erst seit Kurzem, weil ich zuvor ja keinen Fernseher gehabt hatte. Ich wusste also, dass es in dieser Show darum ging, dass wildfremde Menschen in einem Haus zusammenleben mussten und dabei rund um die Uhr gefilmt wurden. Die Vorstellung, zu einem Casting zu gehen und viele neue Leute kennenzulernen, war eine willkommene Abwechslung, und ohne recht zu wissen, auf was ich mich einließ, ging ich dorthin.
    Es war wie erwartet sehr aufregend und der Ansturm auf das Hotel, in dem das Casting stattfand, war gigantisch. Ich traf alle möglichen Leute: Künstler, Freaks, Bodybuilder, Models, Arbeitslose, Selbstständige … Wir bekamen kleine Zettel mit Nummern und wurden dann nacheinander aufgerufen. Als ich dran war, kam ich gespannt in den Raum. »Warum wollen Sie ins Big-Brother-Haus?«, fragte mich der Mann, der mich gecastet hatte. »Ich brauch einfach mal Urlaub!« Die Antwort schien der Jury zu gefallen und kurz darauf war ich fertig. Ein paar Wochen später teilte man mir mit, dass ich eine der Kandidatinnen sei, und ich begann plötzlich zu realisieren, dass aus meinem netten Casting-Ausflug langsam Ernst wurde, aber ich hatte noch gar nicht mit meinen Eltern und mit meinem Freund ausführlich darüber gesprochen. Ich sagte ihnen, dass ich ziemlich neugierig sei und das Ganze weiterverfolgen wolle, und sie hatten vollstes Verständnis und gönnten mir den Spaß. Ohne es auszuprobieren konnte ich ja nicht wissen, wie es tatsächlich werden würde, also stürzte ich mich ins Abenteuer.
    Es dauerte genau sechs Wochen, die sich so anfühlten, als ob ich in einem Ferienlager für junge Erwachsene wäre, in dem jeden Tag was Neues los war, man zusammen Spaß hatte und in einer Clique mit acht Freunden zusammenwohnte. Da man die Kameras kaum sah, störten sie einen nicht weiter und ich vergaß sie ziemlich schnell, bis ich nach sechs Wochen das Haus wieder verließ.

    Damals hatte ich es als eine Möglichkeit gesehen, in eine andere Welt einzutauchen. Obwohl Big Brother im Nachhinein nicht zu den schlauesten Entscheidungen gehörte, die ich in meinem Leben getroffen habe, hatte auch diese Erfahrung ihre guten Seiten. Zum Beispiel habe ich dabei zwei sehr gute und wertvolle Freunde gefunden, die mich hoffentlich noch für den Rest meines Lebens begleiten werden. Außerdem durfte ich erstmals moderieren: Vor 16 000 kreischenden Teenies war ich Gastmoderatorin beim Musikevent The Dome : Gemeinsam mit Yvonne Catterfield und Oli P. führte ich durch die Show. Wow! Diese Erfahrung fesselte mich und bestärkte mich darin, dass genau das meine Berufung war: die Moderation. Es folgten Promotion-Auftritte bei Viva, MTV und Top of the Pops und weitere Engagements, in denen ich Erfahrungen sammeln konnte, und mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht: Ich hatte das Talent dazu, aber ich merkte auch schnell, dass ich noch sehr viel lernen musste. Und ich war froh, als der Hype um meine Teilnahme bei Big Brother abgeklungen war, denn ich wollte nicht darauf reduziert werden, dass ich irgendwann mal Kandidatin einer Realityshow gewesen war. Irgendwann war ich mir sicher, dass ich mich ganz auf meinen Traum konzentrieren wollte, Moderatorin zu werden. Sascha war Gastwirt in Köln: Ich kündigte meinen Job als Arzthelferin in der Praxis, zog zu Sascha und half ihm im Restaurant. Eines Tages flatterte mir wieder eine Casting-Einladung ins Haus. Und tatsächlich: Es ging um eine Stelle als Moderatorin! Das war die Chance, auf die ich so lange gewartet hatte. Als ich meinen Eltern und Geschwistern am Telefon davon erzählte, jubelten sie schon, bevor ich überhaupt beim Casting gewesen war. Mein Vater war furchtbar stolz und drückte mir fest beide Daumen, dass ich den Job bekomme.
    Ich fuhr zum Sender, und dort wurde uns Bewerbern erklärt, was wir zu tun hatten. Es war ein Reisesender, der sein Programm live ausstrahlte. Wir wurden geschminkt, verkabelt und mussten
dann eine Reise spontan vorstellen, auf die wir uns zuvor nicht vorbereiten durften. Es sollte um Ägypten gehen - ausgerechnet Ägypten: Dazu
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