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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Autoren: Rebecca Hohlbein
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noch der unheimliche Schrumpfkopf mit den fest vernähten Lidern baumelte.
    »Besten Dank. Hallo, Nanba«, spottete Rah Loro ungerührt. »So gefällst du mir am besten.«
    Chitas Blick schnellte um Hilfe flehend zwischen den beiden Männern auf der Lichtung und ihren Begleitern umher, doch niemand schien mehr zu verstehen als sie selbst.
    »Was soll das alles?«, flüsterte sie hilflos. Und jetzt ließ sich zumindest Kratt tatsächlich dazu herab, ihr zu antworten.
    »Weißt du, Schwester«, sagte er, und dieses Mal bestand nicht mehr der geringste Zweifel daran, dass diese Anrede aus seinem Mund nicht etwa Mikkoka, sondern Chita galt, »da sowohl er als auch ich möglicherweise schon in wenigen Sekunden nur noch ein winziger Teil einer großen Lagerfeuergeschichte sind, möchte ich, dass du die Wahrheit über deinen Vater erfährst. Es steht ihm nicht zu, als großer, gerechter Herrscher in die Geschichte einzugehen. Denn das ist er nicht. Er ist ein Monster, und ich will, dass die Legende von Cypria dieses Monster nicht unerwähnt lässt.«
    »Ich verstehe dich nicht«, erwiderte Chita mit trockenem Mund. Ihre Hände klammerten sich fest um Cochas und Soras Finger. »Und nenn mich nicht Schwester, Kratt, denn wir sind fertig miteinander. Du hast uns alle belogen. Sogar Mikkoka, die wirklich deine Schwester ist.«
    »Sie ist die Tochter des Mannes meiner Mutter«, verbesserte Kratt sie gelassen. »Des Mannes, der meine Mutter vor dem Monster, das unser Vater ist, zu retten versucht hat.« Seine freie Hand sank auf den Schrumpfkopf hinab und streichelte sanft das schwarze Haar, das das makabere Andenken am Gürtel hielt. »Er hat sie ermorden lassen. Nicht etwa verurteilen und hinrichten, sondern heimtückisch ermorden. Um sein eigenes Verbrechen zu vertuschen. Um zu vertuschen, dass er mich gezeugt hat. Gegen ihren Willen und mit roher Gewalt.«
    »Sie war eine Prostituierte!«, winkte Rah Loro verächtlich ab.
    Chitas Blick heftete sich entsetzt auf das Gesicht ihres Vaters, der ihr nie wirklich vertraut gewesen war, aber auch nie so absolut fremd wie in diesem Moment.
    »Sie ging aus den Sümpfen nach Silberfels«, verbesserte Kratt ruhig. »Sie hat dort nach ihrem Glück gesucht, nachdem eine Seuche nahezu ihre ganze montanische Sippe dahingerafft hat. Aber statt auf ein gutes anderes Leben traf sie nur auf das Verderben in Gestalt unseres Erzeugers.«
    »Unsinn!«, mischte sich Chita ein. »Aus den Sümpfen in die Stadt der Kinder! Niemals hätte man sie dort aufgenommen!«
    »Doch«, beharrte Kratt. »Als Küchenmagd. Und er hat sie missbraucht.« Er tat einen drohenden Schritt in Loros Richtung, der aber nicht zurückwich, sondern nur herablassend schnaubte und den Finger einen Deut weiter über dem Auslöser krümmte. Die Zündkordel baumelte ungeduldig vor dem Rohr, aus dem jederzeit eine Fontäne brennbarer Flüssigkeit schnellen konnte.
    »Na dann: Herzlichen Glückwunsch«, flüsterte Mikkoka sarkastisch, zog Chita aber einen weiteren Dezimeter von den beiden Männern in der Mitte der Lichtung zurück. »Er ist überhaupt nicht mein Bruder. Sondern deiner.«
    »So sieht es aus«, bestätigte Kratt.
    »Aber mein Vater hat dich trotzdem geliebt«, behauptete Mikkoka, die versuchte, sich keine Gefühlsregungen anmerken zu lassen. Es gelang ihr nur bedingt. Als Chita einen kurzen Schulterblick zu ihr hin riskierte, sah sie ein nervöses Flackern in ihren schwarzen Augen. »Ich weiß, dass er das getan hat«, sagte die Akkabäerin. »Mein Großvater hat es mir erzählt. Alle haben geglaubt, dass du der Sohn meines Vaters bist. Auch mein Vater selbst.«
    »Er wusste, dass ich es nicht bin«, verneinte Kratt. »Er hat meine Mutter trotzdem geliebt. Darum hat er mich als sein eigenes Kind ausgegeben und auch sonst alles versucht, um sie vor diesem Monster zu schützen, das alles daran gesetzt hat, sein eigenes Verbrechen in jungen Jahren zu vertuschen, um der verdienten Schande und Strafe zu entgehen. Aber dein Vater konnte ihr Leben nicht retten. Wenigstens konnten sie mich in den Sümpfen verstecken, ehe Loro meine Mutter aufspürte und aufschlitzen ließ. Nur darum bin ich hier. Danke deinem Vater in meinem Namen, falls er noch lebt, Mikkoka. Was ich nicht glaube«, fügte er gleichgültig hinzu. »Fast alle sind tot. Vielleicht leben nur noch die Wenigen, die hier in Walla sind. Aber um die ganze Wahrheit loszuwerden, ehe es gleich noch mal zwei weniger sind: Ja, ich wusste von Walla. Ja, ich habe die
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