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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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abwimmeln. »Was ist eigentlich los?«, rief sie. »Warum bist plötzlich du hier, Papa?«
    Der Kantor wollte auf seinem Befehl beharren, doch Friedrich Wieck unterbrach ihn. Er begriff, dass er als Erstes bei Marianne hätte nachfragen müssen. Sie kannte ihn als geradlinigen, energischen Mann, der in jeder Situation das Heft in der Hand behielt. Zu einem solchen passte es nicht, dass er nicht wagte, seine Gefühle zu erklären und seine Wünsche für eine gemeinsame Zukunft. Wie sollte sie später als Ehefrau auf ihn hören, wenn sie sich daran erinnerte, dass er sich zu Beginn hinter ihrem Vater versteckt hatte?
    Noch nie zuvor war Friedrich Wieck entschlossener gewesen. »Mamsell Tromlitz«, sagte er mit seiner schneidenden Stimme, die den Kantor zusammenzucken ließ. »In der kurzen Zeit, die wir uns kennen, habe ich gelernt, Sie zu bewundern. Ihr Talent, Ihre Schönheit und Ihr heiteres Wesen haben mein Herz gewonnen. Mit einem Wort: Ich liebe Sie und bitte Sie, meine Frau zu werden.« Erst jetzt brach ihm der Schweiß aus. Während er auf eine Antwort wartete, fing das Talglicht auf der Kommode zu blaken an. Wenn es nicht bald geputzt wurde, würde es verlöschen, und man würde mitten im Dunkeln stehen.
    Friedrich Wieck drehte sich um und suchte nach der Lichtschere. Da sah er, dass sämtliche Dienstboten auf der Treppe standen. Der nächtliche Lärm hatte sie wohl herbeigelockt. Auch sie trugen nur Nachthemden und Schlafmützen. Friedrich Wieck musste plötzlich an Adolph Bargiel denken und an dessen stets bereiten Sinn für Humor. Wahrscheinlich würde er gar nicht aufhören können zu lachen, wenn er von dieser peinlichen Situation erfuhr.
    Friedrich Wieck runzelte die Stirn. »Kümmere dich um das Licht, August!«, befahl er dem Diener. »Und ihr anderen: verschwindet zu Bett! Es gibt hier nichts zu gaffen.« Dann erinnerte er sich wieder an seine Frage. »Mamsell Tromlitz«, sagte er, diesmal sanft und verlegen. »Haben Sie verstanden, worum ich Sie bat?« Noch nie war ihm Marianne so bezaubernd und begehrenswerterschienen wie jetzt. Ihr Gesicht verschwand fast unter den unzähligen schwarzen Löckchen, die es umrahmten. »Sie sehen genauso aus, wie Sie Klavier spielen«, sagte Friedrich Wieck gerührt. Es war das liebevollste Kompliment, das ihm zu Gebote stand, doch er fürchtete, sie würde es nicht verstehen.
    Zu seiner Erleichterung aber lächelte sie plötzlich. »Ist das wahr, Herr Wieck?«, flüsterte sie. Da wurde ihm das Herz ganz weit vor Glück darüber, dass ihr wohl die gleichen Dinge wichtig und wert waren wie ihm selbst.
2
    Drei Wochen danach waren sie verheiratet. Die folgenden Monate waren für beide die glücklichsten ihres Lebens. Zum ersten Mal seit langem stand für Friedrich Wieck die Arbeit nicht an erster Stelle. Er, der sich bisher für Frauen kaum interessiert hatte, konnte auf einmal an nichts anderes denken als an dieses junge Wesen, das auf eine so beglückende Weise das Leben mit ihm teilte.
    Wie ein Wunder erschien es ihm, wenn er am Morgen erwachte und Mariannes Haar seine Wange berührte, sanfter als das Gewicht eines Blütenblattes und doch tonnenschwer in der Beglückung, die es bei ihm auslöste. Jedes Mal neu erschien es ihm und unfassbar, wenn er seine Hand auf Mariannes weiche, warme Brust legte und zusah, wie die junge Frau langsam erwachte. Sein Leben lang hatte er gemeint, nichts könnte ihn tiefer ergreifen und überwältigen als die Musik. Nun aber lernte er Gefühle kennen, von deren Existenz er nie etwas geahnt hatte. Zum ersten Mal erfuhr er sich selbst und spürte sich als Teil eines Paares. An Mariannes Körper erkannte er seinen eigenen, und wenn er ihren Atem hörte und ihr leises Stöhnen, war ihm, als hätte er endlich das Geheimnis des Lebens begriffen und damit auch das wahre Mysterium der Kunst. In diesen Augenblicken erschien ihm nichts unmöglich. Wenn er jetzt versuchte, seineGefühle in Musik zu setzen, würde ihm ein Werk gelingen, das jeden, der es vernahm, ins tiefste Herz treffen musste.
    Er tat alles, um sie zu erfreuen, und erlebte dabei selbst doch die größte Freude. Er ließ sich bei den Musikstunden vertreten und wanderte mit Marianne hinaus aus der Stadt ins Zaubertal. Einmal nahm er sogar ein spitzes Messerchen mit und versuchte, in den Stamm der größten und schönsten Eiche ein Herz mit ihrer beider Intitialen zu ritzen. Dabei störte es ihn kaum, dass sein Vorhaben misslang und Marianne herzlich darüber lachte. Am nächsten
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