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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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Tag gingen sie an die Elster und mieteten einen Stechkahn. Auch hier erwies sich Friedrich Wieck nicht als der Geschickteste, sodass schließlich Marianne die Führung des Bootes übernahm. Doch das machte ihm nichts aus. Er genoss es fast, diese unbedeutenden Misserfolge zu erleben und dabei zu erfahren, dass er trotzdem geliebt wurde.
    Immer mehr bezog er Marianne in seine Arbeit ein. Er überließ ihr die Führung des Haushalts, wie es sich bei einer Ehefrau gehörte. Zugleich aber trat er einen Teil seiner Klavierstunden an sie ab, und es freute ihn, wenn sie in den Laden kam und die Kunden bediente. Alle waren von ihr bezaubert, was man bald auch an den Umsätzen merkte. Sogar die abendlichen Bierrunden im Salon veränderten sich. Seit Marianne in unregelmäßigen Abständen dazukam, brachten einige der Gäste immer öfter ihre Damen mit, und außer Bier wurde nun auch Wein angeboten. Der Wieck’sche Salon gewann an Ansehen. Künstler, die nach Leipzig kamen, um hier aufzutreten, sprachen »bei Wieck« vor, um sich im richtigen Kreis bekannt zu machen.
    Wie stolz war Friedrich Wieck, als Marianne das Angebot erhielt, im Gewandhaus bei Mozarts »Requiem« mitzuwirken und bald darauf bei Beethovens C-Dur-Messe! Er konnte die Augen nicht von ihr wenden, wenn sie mit den anderen Sängern auf der Bühne stand, nicht die Einzige, aber die Schönste, die Auffallendste mit einer Stimme, die vom Himmel zu kommen schien. Er meinte, alle im Publikum müssten nur sie sehen und hören, und alle müssten ihn beneiden. Gar nicht genug konnte er bekommenvon den Komplimenten, die man ihm ihretwegen machte, und als sie ihm sagte, man habe ihr vorgeschlagen, im Gewandhaus auch als Pianistin aufzutreten, klopfte sein Herz so sehr, dass es ihm fast Angst machte. Ihre Erfolge waren auch die seinen.
    Friedrich Wiecks Glück schien vollkommen, als sich herausstellte, dass Marianne ein Kind erwartete. Er war sicher, dass dieses Kind ein Mädchen sein würde, sein kleines Wunderkind, seine Amadea, die er zur berühmtesten Pianistin ihrer Zeit erziehen würde. Er sah sich schon mit ihr von einer Großstadt zur anderen reisen, von einem bedeutenden Konzertsaal zum nächsten. Überall würde es Ovationen geben, Blumen würden auf ihn und seine Tochter herabregnen, und die Geschäftskasse würde so laut klingeln, dass er mit dem Geldanlegen kaum nachkam. Friedrich Wieck, der Leopold Mozart seiner Epoche mit seiner genialen Tochter, für die er bereits den passenden Vornamen gefunden hatte! Clara sollte sie heißen, Clara, die Helle, Strahlende. Ein Mädchen, schön wie seine Mutter, doch noch tausendmal begabter. Ein Glückskind der Musik, eine kleine Göttin am Pianoforte. Eine, die alle anderen in den Schatten stellte und für die es immer nur eines gab: Musik, Musik, Musik – weil sie selbst Musik war.
    »Und wenn es ein Sohn wird?« Nach all den Wochen bedingungslosen Zuspruchs fing Marianne auf einmal an, sich zu sorgen. Zu wichtig schien Friedrich Wieck das Geschlecht seines ersten Kindes zu nehmen. Dazu kam noch die ständige Übelkeit, von der sie auf einmal gequält wurde und ein Gefühl der Überforderung, weil ihre Tage zu voll waren, weil ständig nach ihr gerufen wurde und weil – das wurde ihr erst jetzt bewusst – ihr Gatte zu viel von ihr erwartete.
    Das ungeborene Kind machte sie müde. Sie wäre am Morgen gerne länger liegen geblieben, anstatt zum Klavierunterricht zu eilen. Sie hätte gerne das eine oder andere Kleidungsstück für ihr Kind gestrickt, anstatt im Laden zu stehen und den Kunden genehm zu sein. Sie wäre gern früher schlafen gegangen, statt im Salon die Gäste zu begrüßen. Alles, was sie bisher genossenhatte, wurde ihr auf einmal zur Last. So lächelte sie nicht mehr, wenn Friedrich Wieck nach ihr verlangte. Stattdessen wies sie ihn von sich, erst behutsam, dann immer schroffer, weil er nicht hören wollte. »Lass mich in Ruhe!«, fuhr sie ihn an. »Lass mich endlich in Ruhe!« Dabei sah sie, dass er erst errötete und dann erbleichte und mit den Händen seine Wangen bedeckte. Noch war ihr diese Bewegung bei ihm unbekannt, doch sie spürte, dass sich der Zustand ihrer Ehe veränderte. Trotzdem blieb sie bei ihrer ablehnenden Haltung, und es machte ihr nichts aus, dass sich Friedrich Wieck von ihr zurückzog. Hauptsache, man ließ ihr endlich den Frieden einer Schwangeren, den sie so dringend brauchte.
    Das Kind wurde geboren. Es war ein Mädchen. Marianne meinte, nun müsse ihr Gatte endlich zufrieden
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