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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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Kinder. Wann immer ihm danach war, würde er diesen weißen Nacken, der ihn fast in den Wahnsinn trieb, berühren dürfen, ihn küssen dürfen, und niemand konnte es ihm verwehren.
    Noch in derselben Stunde schrieb er einen langen Brief an Mariannes Vater, um ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Er war bestrebt, seinen hohen Respekt vor dem jungen Mädchen darzulegen, dem Adressaten aber gleichzeitig vor Augen zu führen, dass die gewünschte Verbindung auch für die künftige Braut durchaus vorteilhaft war. Als gelte es, einem Käufer ein Instrumentschmackhaft zu machen, präsentierte sich Friedrich Wieck als erfolgreicher Geschäftsmann und Unternehmer, als Künstler, Lehrer und als ein Mann von Welt. Dabei steigerte sich seine Aufregung mit jedem Satz, sodass der Brief immer länger wurde, immer umständlicher und verworrener, was wenig dazu beitrug, den Kantor zu beruhigen.
    Dieser las nur heraus, dass »dieser Windbeutel von einem Musiklehrer« zu Unrecht vorgegeben hatte, Marianne werde in einen »wohlgeführten Haushalt« aufgenommen und nichts werde geschehen, was ihrem guten Ruf schaden könne. Die Erkenntnis war unerträglich, dass der feine Herr nicht einmal verheiratet war, was doch wohl die Mindestanforderung an einen wohlgeführten Haushalt darstellte. Alle Sünden Babylons kamen dem besorgten Vater in den Sinn, wenn er darüber nachdachte, dass seine schutzlose Tochter diesem Leipziger Don Juan wochenlang hilflos ausgeliefert gewesen war. Dass der auch noch mit seiner Geschäftstüchtigkeit und seinen Erfolgen prahlte, ließ das Allerschlimmste vermuten, denn er betrachtete es anscheinend als eine Gnade, dass einer wie er bereit war, das arme Kind zu heiraten.
    So war es kein Wunder, dass der achtbare Mann die nächste Postkutsche bestieg, um die Ehre seiner Tochter zu retten. Er setzte ein großzügiges Trinkgeld ein, um den phlegmatischen Postillion zu größerer Eile anzutreiben, erreichte damit aber nur, dass dieser das Geld in Alkohol umsetzte, was die Fahrt noch zusätzlich verzögerte.
    Als man endlich in Leipzig ankam, war es bereits dunkel, und der Nachtwächter schwang seine Schnarre. Die Straßen waren menschenleer und die Haustüren verschlossen. Man legte den Fahrgästen nahe, umgehend das nächste Hotel aufzusuchen, doch der Kantor weigerte sich und verlangte, sofort zum Hause Wieck geführt zu werden. Nach einer neuerlichen Geldspende erklärte sich einer der Nachtwächter bereit, den aufgeregten Reisenden zur Wieck’schen Pianoforte-Fabrik zu geleiten. Nur mit Mühe hinderte er ihn daran, laut rufend an die Tür zu hämmernund damit die Ruhe der Nachbarschaft zu stören. »Ich mache das«, bestimmte er und betätigte behutsam den Türklopfer.
    Friedrich Wieck war noch nicht zu Bett gegangen. Er öffnete selbst die Tür.
    »Da ist so ein Monsieur aus Plauen«, meldete der Nachtwächter. »Ich muss dabei bleiben, sonst geschieht womöglich ein Unglück.«
    Friedrich Wiecks Herz schlug so heftig, dass er kaum sprechen konnte. »Herr Kantor Tromlitz?«, fragte er ungläubig.
    Der Kantor drängte sich ins Haus. »Wo ist meine Tochter?« Er schaute sich um, als erwarte er, Zeuge einer spätrömischen Orgie zu werden.
    Friedrich Wieck starrte ihn verständnislos an. »Oben«, stotterte er. »Sie schläft bereits. Es ist spät.«
    Die weiteren Ereignisse waren für den Besucher so peinlich, dass er sich später sogar seiner Gemahlin gegenüber weigerte, sie im Einzelnen zu schildern. Jedenfalls fand er seine Tochter unschuldig schlafend vor. Allein. Ihre Freude, den Vater wiederzusehen, aber auch ihre Überraschung darüber waren ganz offenkundig echt. Bei der anschließenden Aussprache stellte sich zudem heraus, dass der prospektive Bräutigam wohl doch nicht der hemmungslose Verführer war, für den ihn der Kantor gehalten hatte, sondern eher ein ziemlicher Hasenfuß, der bisher noch nicht einmal gewagt hatte, sich seiner Angebeteten zu erklären. »Ich wollte erst Ihre Zustimmung abwarten, Herr Kantor«, gestand er verlegen, und auf seinen Wangen erschienen rote Flecken.
    Erst jetzt wurde den drei Beteiligten bewusst, dass Marianne nicht mehr trug als das Nachthemd, mit dem sie zu Bett gegangen war. Friedrich Wieck wandte hastig den Blick ab und errötete noch mehr – ob vor Scham oder aus uneingestandenem Entzücken hätte nicht einmal er selbst sagen können.
    »Geh zu Bett, Kind«, murmelte der Kantor versöhnlich. »Wir sprechen morgen weiter.«
    Doch Marianne ließ sich nicht
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