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Das Luzifer Evangelium

Das Luzifer Evangelium

Titel: Das Luzifer Evangelium
Autoren: Tom Egeland
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wovon sie redete.
    Zehn, fünfzehn Sekunden lang kritzelte sie planlos auf ihrem Block herum. Dann schrieb sie: »Wer war Dirk?«
    »Dirk war dein Mann.«
    Sie zuckte zusammen.
    »Mein Mann? Wie kommst du denn darauf?«
    Ihr Gesichtsausdruck zeigte offene, unverfälschte Verblüffung. Sie spielte mir nichts vor.
    »Das … davon bin ich immer ausgegangen. Vermutlich hat mir das mal jemand gesagt. Wart ihr denn nicht verheiratet?«
    »Verheiratet? Nie! Das ist doch absurd!«
    Sie schüttelte lange den Kopf.
    »Ich habe dir nie Grund zu einer solchen Annahme gegeben.«
    »Tut mir leid. Ich habe das so aufgefasst. Ich muss da etwas missverstanden haben.«
    Wieder zögerte sie, bevor sie schrieb: »Frag dich doch mal, warum Dirk und ich im Verborgenen gelebt haben.«
    »Weil ihr ein diskretes, zurückgezogenes Leben führen wolltet?«
    »Lieber, guter, dummer Bjørn.«
    Der Luftstrom des Ventilators lief mir wie ein Schauer über den Rücken.
    »Dirk van Rijsewijk war kein Niederländer«, schrieb sie. »Er war Italiener. Sein wirklicher Name war Giovanni Nobile.«
    4
    Giovanni Nobile …
    Der Dämonologe. Der italienische Theologe.
    »Ich dachte, Giovanni Nobile wäre ermordet worden?«
    »Ja, das sollten alle glauben.«
    Ich sah sie an.
    Und dann verstand ich. Schließlich doch.
    Endlich. Dummer, dummer Bjørn.
    Ich betrachtete ihr hübsches Gesicht, den goldenen Glanz ihrer Haut, die braunen Augen.
    »Du bist seine Tochter.«
    Sie nickte.
    »Du warst nie seine Frau. Du bist Giovanni Nobiles Tochter.«
    Nicken.
    »Du bist Silvana.«
    Sie nickte weiter.
    »Ja«, schrieb sie, »ich bin Silvana Nobile.«
    5
    Und dann begann sie zu erzählen.
    Sie schrieb, lange, und ich las ihre Geschichte mit glänzenden Augen.
    Ich las über den Tag, an dem sie vor der Schule gekidnappt und in den Sarg gelegt wurde. Ich las über die endlosen Stunden, die sie eingesperrt gewesen war.
    »In diesem Sarg habe ich meine Sprache verloren«, schrieb sie. »Die Ärzte können sich das nicht erklären. Papa hat mich zu diversen Spezialisten gebracht, aber meine Stimme ist in diesem Sarg geblieben. Auch wenn das keinen Sinn macht. Du musst das nicht verstehen. Die Worte kommen einfach nicht mehr aus mir heraus. Die Spinne war eine Notlüge. Der Sarg hat mich stumm gemacht. Der Sarg!«
    Wir sahen einander an. Ich spürte den Luftstrom und roch den schwachen Duft von Chanel No. 5.
    »Papa und ich sind geflohen. Erst weg aus Rom. Vor der Polizei. Vor den Mönchen. Alle waren sie hinter ihm her. Die Polizei, die Sekte, die Universität, der Antiquar Luigi. Ein paar Wochen lang waren wir in Grado. Dann in Triest. Papa hatte Kontakte. Menschen, denen er vertraute. Sie haben uns geholfen und uns neue Identitäten verschafft. Falsche Pässe und Papiere. Irgendwann haben wir dann die Identität von Leuten angenommen, die gerade gestorben waren. Niederländer. In Amsterdam hat sich Papa mithilfe eines Kollegens neu etabliert.«
    »Und deine Mutter?«
    Ein schmerzhafter Zug umspielte ihren Mund.
    »Sie kam nach Ortobello. Heimlich. Aber es war zu viel für sie. Ich kann das nicht erklären. Sie ertrug die Vorstellung nicht, ein Leben auf der Flucht zu führen. Vielleicht stimmte auch nicht alles zwischen Papa und ihr. Ich weiß es nicht.«
    »Aber sie ließ dich mit deinem Vater ziehen?«
    »Sie wollte, dass ich zurück mit ihr nach Rom ging, aber Papa sagte Nein. Er meinte, es sei dort nicht sicher genug für mich.«
    »Verständlich.«
    »Mama sagte, sie würde nachkommen. Wenn sich alles beruhigt hätte. Aber dazu ist es nie gekommen.«
    »Was ist passiert?«
    Sie starrte vor sich in die Luft. Lange. Als müsste sie tief in sich gehen, um die Antwort formulieren zu können.
    »Papa wurde von den italienischen Behörden für tot erklärt. Viele Jahre später. Mama hat wieder geheiratet. Ihren Chef. Enrico. Sie hat zwei Söhne mit ihm, aber ich habe meine Halbbrüder nie kennengelernt. Sie glauben, dass ich gemeinsam mit Papa gestorben bin.«
    Ich dachte an meine Mutter und an meinen Halbbruder. Moniques Schicksal und meins waren durch ein dünnes Band miteinander verknüpft.
    »Ich habe Mama vor ihrem Tod noch fünfmal getroffen « , schrieb sie.
    »Wie hat das Luzifer-Projekt euch in Amsterdam aufgespürt?«
    »Es war umgekehrt. Papa hat sie gefunden. Er hat nie damit aufgehört, das Luzifer-Evangelium zu erforschen, und er hat alles verfolgt. Alle fachlichen Diskussionen. Hat Zeitschriften gelesen und schließlich nach einigen Jahren erkannt, dass
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