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Das Luzifer Evangelium

Das Luzifer Evangelium

Titel: Das Luzifer Evangelium
Autoren: Tom Egeland
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zu holen. Mama wartet zu Hause. Sie hat sich solche Sorgen gemacht. Jetzt wird alles gut.«
    Sie klammerte sich an ihn.
    Er hörte ihren Atem, kurze, stockende Luftstöße.
    »Es ist vorbei, meine Süße.«
    Er setzte sie wieder auf den Stuhl und hielt ihr Gesicht in seinen Händen. Mein Gott, was haben sie nur mit ihr gemacht? Ihr Blick war abwesend und apathisch. Er streichelte ihr über die klamme Stirn. Wütend drehte er sich zu der Gruppe Männer um, die hinter ihm stand.
    »Was haben Sie mit ihr gemacht?«
    Der Großmeister trat einen Schritt vor. »Sie hat nicht übermäßig leiden müssen, Professor Nobile.«
    »Sehen Sie sie an!«
    »Sie braucht nur ein paar Tage frische Luft.«
    »Frische Luft?«
    »Es ist ihr nichts zugestoßen.«
    »In Gottes Namen, hätten Sie sie nicht in einem Zimmer einsperren können? In einer Wohnung? Warum … das hier?«
    Der Großmeister breitete langsam die Arme aus. »Weil es so geschrieben steht.«
    »Geschrieben? Wo?«
    »In der Heiligen Schrift.«
    »In der Bibel steht nichts, kein Wort, über eine solche Ungeheuerlichkeit! Kein Wort!«
    »Professor Nobile, es gibt mehr heilige Schriften als nur die Bibel. Das sollten Sie als Theologe eigentlich wissen.«
    »Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind doch verrückt! Verrückt! Mein Gott, verstehen Sie denn nicht …«
    Silvana zupfte am Ärmel seiner Jacke.
    »Die Menschen müssen sich ihren Göttern unterordnen und sie anbeten«, sagte der Großmeister.
    »Götter! Ach was? Götter? Wer sind denn eigentlich Ihre Götter?«
    *
    Papa …
    Er ist wütend. Auf die Männer.
    Papa, sei nicht wütend.
    *
    Als sie zurück nach Rom fuhren, begann es endlich zu regnen.
    Silvana saß auf seinem Schoß. Der Großmeister und die beiden Muskelmänner waren mit im Auto. Ein anderer Mercedes mit zwei weiteren Männern folgte ihnen. Der Wolkenbruch fegte seinen wehenden Schleier über die Landschaft. Regentropfen trommelten aufs Dach und auf den Asphalt. Das einschläfernde Hin und Her der Scheibenwischer erinnerte ihn an das Metronom zu Hause bei der Klavierlehrerin, zu der er bis zu seinem zwölften Lebensjahr gegangen war.
    Der Nachmittagsverkehr in Richtung Rom wurde lichter, dafür kamen ihnen immer mehr Fahrzeuge entgegen. Giovanni fragte sich, wie viele Jahre er würde absitzen müssen. Dass Silvana gekidnappt worden war, verschaffte ihm sicher mildernde Umstände. Trotzdem gab ihm das nicht das Recht, einen unschuldigen Ägypter zu erschießen. Auch wenn es im Grunde genommen ein Unfall gewesen war. Er hatte nicht vorgehabt zu schießen. Aber natürlich hätte er die Waffe gar nicht erst mitnehmen dürfen. Auf jeden Fall nicht geladen. Mord im Affekt, wenn es gut lief. Geplanter, vorsätzlicher Mord, wenn sie ihm misstrauten, im schlimmsten Fall. Schließlich hatte er den alten Revolver herausgesucht, ihn geladen, war damit zur Universität gefahren und hatte dem Dekan und den Ägyptern aufgelauert. Eine wirkliche Affekttat war es damit nicht – nicht im juristischen Sinne –, auch wenn er nicht hatte schießen wollen. Aber das mussten sie ihm doch glauben? Wie viele Jahre hatte er zu erwarten? Zehn? Oder mehr? Er hatte sich nie sonderlich für Strafrecht interessiert. Verbrecher, hatte er bisher gedacht, verdienten ihre Strafe. Und jetzt war er einer von ihnen.
    Silvana und Luciana würden schon zurechtkommen. Sein armes, kleines Mädchen hatte jetzt einen Mörder als Vater. Ob sie das traumatische Erlebnis im Sarg überwinden würde? Er hoffte von ganzem Herzen, dass die Geschehnisse sie nicht seelisch zerstört hatten. Was richtet es im Gemüt eines Kindes an, in einem Sarg eingesperrt zu sein? Er wusste es nicht. Wie so vieles. Sie würden professionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Das war klar. Dennoch blieb die Frage, ob Silvana bleibende Schäden davongetragen hatte. Das würden sie erst im Laufe der Zeit erkennen. Arme kleine Silvana …
    Und wie würde Luciana reagieren? Seine schöne Luciana. Sie, die es nicht einmal ertragen konnte, wenn er einen Fisch ausnahm. Dann überkam ihn die schmerzhafte Erkenntnis, dass Luciana wahrscheinlich mit Silvana fortziehen würde. Zu Enrico? Vielleicht. Nein, so weit würde sie nicht gehen. Trotz alledem. In einer Sache aber war er sich sicher: Luciana würde nicht auf ihn warten, während er im Gefängnis seine Strafe absaß. So innig war ihre Liebe nicht. Sie war eine Frau, die verwöhnt werden wollte, geliebt, angebetet. Zehn Jahre ohne die Hingabe eines Mannes …
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