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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte
Autoren: Mikael Niemi
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Gebrauchtwarenmarkt. Und mit so einem Ding im Raumschiff vermied man eine ganze Menge an Problemen. Kurz nach dem Start klettert man in den Gefriertank und schläft ein, umhüllt von einem Stickstoffnebel. Den Wecker stellt man auf irgendeinen Zeitpunkt zwischen einem und maximal zehn Jahren. Und endlich braucht man sich keine Sorgen mehr wegen des Wassers oder des Sauerstoffs zu machen, wegen des Essens oder der unerträglichen Einsamkeit. Außerdem zieht der Prozess die menschliche Lebenszeit in die Länge. Mit einem Mal kann man unglaublich viel weiter hinaus ins Weltall gelangen und gleichzeitig die Trauer hinter sich lassen; und man vermeidet es, bereits so schrecklich uralt zu sein, wenn man hoffentlich endlich sein Ziel erreicht.
    Und jetzt nähern wir uns dem äußersten Traum. Der kühnsten und großartigsten Fantasie der Menschheit.
    Es ist der Traum, eine Welt zu gründen.
    Eines Tages, irgendwo dort draußen, wird man einen Himmelskörper erreichen. Am besten einen Planeten. Möglicherweise einen Mond, oder mangels besserer Alternativen auch nur einen Asteroiden. Aber das Beste wäre natürlich ein Planet. In sicherem Abstand von einer wärmenden Sonne, mit Atmosphäre und Wasser, vielleicht sogar mit Ozeanen.
    Man manövriert vorsichtig seine Kapsel an den Strand einer geschützten Meeresbucht. Alles ist nur Fels, Öde, rötlicher Stoff wirbelt auf. Nirgends findet sich auch nur die geringste Spur von Leben. Man ist der Erste. Man benennt den Ort nach sich selbst. Vielleicht auch nach seiner Mutter. Endlich, nach all den klaustrophobischen Jahren, ist man angekommen.
    Sofort beginnt man mit den praktischen Dingen. Gibt es Baumaterial hier? Kohlendioxid, Stickstoff, Aminosäuren? Woraus besteht der Felsgrund? Ist Salz im Meer? Bereits am ersten Nachmittag stapft man in seinem verschwitzten Raumanzug zum Meeresufer hinunter, beugt sich hinab und kippt einen ersten Teelöffel mit Algen ins Wasser. Einzellige Algen aus dem Gewächshaus des Raumschiffs. Außerdem Bakterien und Hefezellen. Kleine, wirbelnde Lebenskörner. Sie fallen in die Uferwellen und breiten sich aus. Werden über die gewaltigen Meeresbreiten gespült. Man bleibt mit einem feierlichen Gefühl am Strand stehen. Versucht, das Unglaubliche zu begreifen. Man hat diesem Planeten das Leben geschenkt. Man hat die Schöpfung in Gang gesetzt.
    Und es ist der erste Tag, und es wird Morgen und Abend. Und man sieht, dass es gut ist.
    Irgendetwas schafft es immer. Irgendwelche zähen Flechten von den Uferklippen des Toten Meeres, ein bisschen Plankton von der Antarktis. Bereits ein paar Wochen später kann man eine leichte Trübung am Uferrand erkennen. Die Algen sind dabei, sich zu vermehren. Ein paar der zähesten Arten haben überlebt. Und schon nach ein paar Monaten haben sie sich bis in die benachbarten Buchten ausgebreitet. Grüne, glänzende Schleier, die das Sonnenlicht aufsaugen und Sauerstoff freipumpen. Gleichzeitig beginnen die ersten kleinen Pflanzen im Kompost neben dem Raumschiff zu sprießen. Man hat gewässert und Samen und Sporen gesät. Gras und Flechten. Moose und Pilze. Ein Teil stirbt, aber anderes überlebt und findet einen Halt, wenn man es nur vor den schlimmsten Sandstürmen schützt. Einiges beginnt zu blühen und Samen zu bilden. Und die Samen verbreiten sich, und ein paar davon finden ihre Wurzeln in der Umgebung. Das dauert seine Zeit, oh ja. Aber im Laufe der Jahre und mit Hilfe des bestäubenden Winds wird die Welt langsam immer grüner.
    Und dort verbringt man den Rest seines Lebens. Mit der Zeit spürt man, wie die eigenen Kräfte unweigerlich schwinden, und eines Morgens fällt man um, ohne wieder aufstehen zu können. Man liegt mit steifen Gliedern dort, auf dem Rücken, auf einigen sprießenden Grasflecken ausgestreckt. Hoch oben wölbt sich der Himmel, und man entdeckt etwas Neues, eine erste, zarte Nuance von Blau. Mit allerletzter Kraft zerrt man sich die Sauerstoffmaske vom Kopf und holt zum ersten Mal vorsichtig Luft. Sie ist ungemein dünn, riecht nach Eisen und Bimsstein. Aber man kann sie atmen. Es gibt Sauerstoff hier. Sauerstoff von den Algen in all den Ozeanen des Planeten, vom Gras und den Büschen, eine gewaltige Sauerstofffabrik, und man selbst ist derjenige, der sie vor langer Zeit in Gang gesetzt hat. Ein kurzes Menschenleben nähert sich seinem Ende, doch man hat eine Welt gegründet. Man hat nicht vergebens gelebt. In ein paar Millionen von Jahren werden die Algen und Bakterien es geschafft haben,
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