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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte
Autoren: Mikael Niemi
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scheint den Befehl übernommen zu haben, sein Schädel ist um das unerwartet große Gehirn herum angeschwollen. Sie leben in Gruppen in größeren Gesellschaftsformationen, und sie haben mit ihren kleinen, äußerst geschickten Vorderextremitäten eine verblüffend ausgeklügelte Sonnenenergietechnologie entwickelt.
    Und die Menschen? Nicht die geringste Spur. Die Dinosaurierkinder können über uns in paläontologischen Lehrbüchern lesen. Einmal vor sehr langer Zeit herrschten die Menschen über die Welt.
    In der anderen Richtung des Steilhangs kann man etwas noch Großartigeres wahrnehmen. Dort zeichnet sich nicht weniger als der Abschluss des Universums ab. Der gesamte Weltraum wird dort zu einem Schneeball zusammengezogen. Einem großen, schmelzenden Schneeball, einem Klumpen, der immer weißer wird und von allen Galaxien und kosmischen Nebeln, Neutronensternen und weißen Zwergen und allem Staub und unsichtbarer Materie funkelt. Unser gesamtes ausgedehntes Universum ist zusammengefegt worden wie frisch gefallener Schnee auf einer Haustreppe und zu einem Riesenkloß zusammengedrückt, einem gewaltigen schmelzenden Speiseeis, das weiter zum Plasma zusammengepresst wird. Alle Sterne und Asteroiden, alle Zivilisationen und schwarzen Löcher, alles, wirklich alles wird zusammengematscht, absolut alles bis auf eine einzige, kleine, unscheinbare Kugel, die zwischen den Fingern hindurchrutscht.
    Was?
    Hallo, was passiert da?
    Ein einziges kleines Sandkorn schlüpft zwischen den Fingern hindurch und verschwindet in der Dunkelheit. Man hat es geschafft, die gesamte Materie des ganzen Universums zusammenzufegen, und übersieht dabei ein einziges kleines Flöckchen! Es haut ab. Es will nicht vernichtet werden. Ein unscheinbares kleines Körnchen, das sich weigert, in dem auflodernden Ofen eingeschmolzen zu werden, das wegläuft, hofft, dass es immer noch eine Chance gibt.
    Das sind die Menschen. Es sind die Menschen, die sich weigern zu glauben, dass Schluss ist. Sie haben die Erde in einer Blase verlassen, einem einsamen, glänzenden Fahrzeug. Sie haben gelernt, wie man die Gravitation neutralisiert. Während der Rest des Universums zu einem brennenden Knäuel zusammengepresst wird, fliehen die Menschen bei dem ganzen Durcheinander. Sie existieren weiter. Sie weigern sich, die Hoffnung aufzugeben. Sie stehen da in ihrer glänzenden Blase und umarmen einander. In dieser kleinen, schönen, sich drehenden blauen Welt. Die Menschen wollen nicht sterben, das ist der Grund. Nicht sterben. Nicht verschwinden. Sie wollen dabei sein, wenn alles noch einmal anfängt.
    Ann saß auf der Hausterrasse, die Abendsonne im Gesicht. Sie nippte an einem Glas mit einer rubinroten Flüssigkeit, die Öyvind gemixt hatte. Johannisbeeren waren es, schwarzer Johannisbeersaft und Schnaps. Als tränke man die Sonne, diesen errötenden Sonnenball über dem Waldhorizont.
    Aus der Hütte kam Öyvind mit dem Kartoffeltopf.
    Dampfende frische Kartoffeln mit Dillbüscheln. Die Schale dünn wie Seide. Er füllte ihr sorgfältig einige auf den Teller und ließ dazwischen einen großen Butterklecks landen, damit er schmelze.
    »Die ersten dieses Jahres«, sagte er. »So zart, dass es einen schüttelt.«
    Sie aßen, während der Abendwind immer schwächer wehte und es zum Schluss vollkommen still wurde. Wie Glas.
    Unsichtbares, schwereloses Glas. Ann schnupperte an ihrem Getränk.
    »Meine Frau hat sie gepflückt«, sagte Öyvind. »Es war noch eine Flasche im Keller.«
    Ann ließ sich von dem Geschmack erfüllen. Spürte, wie die Lust in ihr aufstieg. Sie würden sich heute Abend lieben.
    »Was macht Nilson?«, wollte sie wissen.
    »Nilson ist noch da.«
    »Und wovon redet er?«
    »Du meinst die Fortsetzung? Glaubst du, die Leute wollen das wissen?«
    »Ja, was passiert eigentlich danach mit der Menschheit?«
    Öyvind blinzelte zum Wald hinüber, dieser schwebenden Stille. Unschlüssig stand er von seinem Klappstuhl auf und machte ein paar zögerliche Schritte aufs Gras hinaus. Drehte den Kopf zur Seite, fast im rechten Winkel. Dann sperrte er die Augen
    auf, die Nasenflügel weiteten sich wie in großer Furcht. Im gleichen Moment zuckte sein Nacken, als hätte ihn eine heftige Ohrfeige getroffen, eine unsichtbare Druckwelle. Hilflos wurde er zu Boden geworfen. Aus Nase und Ohren sickerte Blut.
    »Öyvind!«, schrie Ann und rannte zu ihm. »Öyvind, sag etwas.«
    »Zwei«, flüsterte er. »Vier, acht, sechzehn …«
    Es wurde warm im Gaumen. Sein Hinterkopf
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