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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte
Autoren: Mikael Niemi
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Stimmen Ja, und zusammen gewinnen die Hochkulturen mit einer Million Jastimmen gegen gut anderthalb Neinstimmen.
    Das sind die Momente, in denen man sich zurücksehnt nach Hause in die Sauna in Aareavaara.
    Der letzte Winkel der Zeit
    E ines Abends Anfang September wurde der Ma-Ethematikstudienrat Öyvind Kuno von einem Geist besessen. Er befand sich in seinem Sommerhaus, einer rotgestrichenen Hütte am Strömsund in Jämtland, und hatte soeben einen Eimer selbst gezogener Kartoffeln ausgegraben. Ein ruhiges, intensives Glück durchströmte ihn, als er eine der frischen Kartoffeln an seinem Arbeitshandschuh abrieb, so dass das gelblichweiße, feste Innere zum Vorschein kam. Vorsichtig führte er das Wurzelteil an die Lippen und biss hinein. Dann kaute er. Der Geschmack süßer Stärke füllte den Mund, Jämtlands milde, jäh endende Sommer. Es war vollbracht. Gab es etwas Größeres, etwas Lieblicheres als einen eigenhändig gefüllten Kartoffelkeller?
    Öyvind beugte sich hinunter und ergriff den galvanisierten Eimerhenkel. Er beabsichtigte, die Kartoffeln zum Brunnen zu tragen, sie im kalten Wasser abzuspülen, sie mit frischem Dill und Salz in einen Topf zu schütten und dann langsam im Abendlicht sieden zu lassen. Und genau in diesem Augenblick, mit leicht gebeugten Knien, vornübergebeugt und mit einer Hand am Eimerhenkel, da wurde Öyvind besessen.
    Es kam von der Seite. Es traf ihn geradezu rechtwinklig wie ein Peitschenschlag, der alles eintrübte. Und dann wurde es still, die Wasseroberfläche beruhigte sich gleich wieder. Oyvind hob den Eimer hoch, sein Körper funktionierte wie vorher. Doch er war nicht länger allein.
    Nachdem er die frischen Kartoffeln mit zerlassener Butter, einem Schnaps und brunnenkaltem Bier verzehrt hatte und mit einem leichten, ganz angenehmen Schwindelgefühl vor dem Abendfeuer saß, kam ihm die Idee, dass es vielleicht eine Mikroblutung gewesen sein könnte. Ein kleiner Riss in den feinen Blutadern des Gehirns. Etwas war geplatzt und hatte angefangen zu lecken. Aber jetzt schien es wohl da drinnen wieder heil zu sein. Jetzt war es sicher wieder alles in Ordnung.
    Da passierte es noch einmal. Aber dieses Mal etwas anders, eine vage, dennoch erschreckende Empfindung. Es war, als versuchte jemand, mit seinem Gehirn zu denken. jemand anders hatte dort Platz genommen.
    Er begann die Exponentialfunktion von zwei herunterzuleiern –4-8-16-32-64- und kam bis 65536, bevor er wieder Atem holte. Er war immer noch Herr seiner Sinne. Aber vielleicht war es doch noch nicht heil, vielleicht sickerte es aus der Ader weiterhin ins Gehirn, so dass der Druck langsam anstieg, und wenn er am nächsten Morgen aufwachte, wäre er hoffnungslos gelähmt.
    Erst einmal in seinem Leben hatte er etwas Ähnliches gespürt. Es war während seiner Studentenzeit in Lund gewesen, als er mit den Leuten vom Studentenkabarett einen LSD-Trip eingeworfen hatte. Sie hatten sich in einem Keller befunden. Er hatte das Papierstückchen in ein Glas Val de Loire gelegt und es in einem Zug geleert, immer noch aufgedreht von dem lang anhaltenden Applaus nach der Vorstellung, jemand anderes war in ihn hineingeklettert. Ein Fremder mit Karamellfarben, der anfing, in seinem Kopf herumzumalen. Öyvind hatte es geschehen lassen. Zwei vom Kabarett hatten sich auf dem Ausziehsofa dem Geschlechtsverkehr gewidmet. Ihre Hintern hüpften wie grüne Phosphorbomben, grüner Saft spritzte überall herum. Es roch nach Zitrone und feuchtem Schwanz. Aber mit der Zeit ging es vorüber, alles verlöschte nach ein paar Stunden. Wurde grau.
    »Ich werde mir noch einen genehmigen«, dachte Öyvind und stand von seinem Kaminsessel auf. »Einen prachtvollen kleinen Absacker!«
    Zunächst goss er sich in sein Glas etwas aus einer Flasche selbst gemachtem Johannisbeersaft, die er im Erdkeller gefunden hatte, seine geschiedene Ehefrau hatte ihn noch entsaftet. Blauschwarzer Johannisbeersaft, anschließend viel Branntwein, die Farbe im Glas wurde rubinrot, wie ein Schmuckstück. Als er an seine Exfrau dachte, wurde er wehmütig. Sie hatte jede einzelne Beere mit ihren Fingerspitzen berührt. Eine nach der anderen wie angeschwollene, sonnenwarme Peniseicheln gepflückt.
    Am nächsten Morgen erwachte er auf dem zerknitterten Küchenteppich ohne eine Erinnerung daran, wie er dorthin gelangt war. Als er sich im Raum umsah, stellte er fest, dass die Möbel umgestellt worden waren. Die Stühle standen nicht am richtigen Platz, der Geschirrschrank war
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