Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
um.«
    »Halt!«, rief Nilson. »Ich falle in Ohnmacht!«
    »Jetzt drehe ich die Kartoffeln um und brate sie von der anderen Seite.«
    »Oh … oohh …«, jammerte Nilson.
    »Halt wenigstens die Klappe, wenn ich esse.«
    »Du weißt, dass du essen wirst! Du weißt, dass du essen wirst! Jetzt isst du, du hast es gewusst, du wusstest, dass du essen würdest, oaahh …«
    »Nilson!«
    Es blieb grabesstill. Nilson war in Ohnmacht gefallen. Was ihn genau schockiert hatte, konnte Öyvind nie in Erfahrung bringen, aber es schien etwas mit unserem Universum zu tun zu haben. Dass man Dinge in einer Reihenfolge machen konnte. Für Nilson war das, als nehme jemand eine Schöpfkelle voll Wasser und wickle sie zu einer Angelschnur auf, zu einem dehnbaren, glitzernden Spinnenfaden.
    »Das geht einfach nicht«, stöhnte Nilson, als er wieder zu sich kam. »Das ist nicht möglich …«
    Öyvind kaute stumm seine Kartoffeln.
    Pergament 8:
    Prophezeiungen bezüglich des Klimas. Das Klima wird sich erwärmen. Es wird kaum noch Schnee in Skandinavien geben. Das Eis zwischen den Schären wird brüchig und schwächer werden. Die Eichen werden sich bis zum Östersundgebiet ausbreiten. Störche und Pelikane werden in Värmland brüten. Ich sehe Blutegel. Und dann wird es kalt, eine weiße Mauer aus Eis. Ein tödliches Glaziärgewicht und Menschen, die fliehen. Ich weiß nicht, wie lange das dauert. Ich sehe nur ein Milchweiß und Frost aus vielen verschiedenen Winkeln. Prophezeiungen bezüglich der Politik: Es kommt
    eine graue Frau nach Europa. Sie hat einen messerscharfen Mund. Hinter ihr verstecken sich ihre Brüder, genauso gekleidet wie sie. Sie behaupten, für das Volk zu sprechen. Sie haben viel Geld und bekommen die ganze Zeit immer mehr.
    Sie hat ein Kind aus Stahl, das aufleuchtet, als sie es hochhebt. Der Himmel ist voller Augen. Viele Vögel kreisen mit scharfen Schnäbeln darin. Sie landen in England, man schießt. Die Jugendlichen füllen die Straßen. Die Frau hat eine Börse in der Brust, jemand steckt dort die Zunge hinein. Sie wird schwer verletzt. Es kommt zu einem großen Tumult.
    Prophezeiungen bezüglich Krankheiten: Es kommt ein großes Fieber. Sie werden auf Flugplätzen und in Hotels sterben. Man bekommt einen Geschmack von Zwiebeln im Mund. Das Blut verdickt sich. Geschwülste schwellen an. sie sehen aus wie blaue Flecken. Das Opfer hustet und spuckt in seine Reisetaschen. Familien fliehen in Panik. In den Krankenhäusern winden sich die Ärzte in Krämpfen. Städte werden verlassen, Gewehrsalven von Soldaten. Autos rasen gegen Straßensperren, die Züge fahren nicht mehr. Kilometerlange Schlangen an Stacheldrahtzäunen und Panzerwagen. Hunger. Hubschrauber knattern. Pfarrer in weißen Schutzanzügen. Große Gruppen mit Brandbeschleunigern, Körper, die in die Flammen geworfen werden. Kinder, die allein herumirren, elternlos. Kinder, die krank werden, aber überleben. Die jüngsten schaffen es. Es geschieht etwas auf der Welt hier, die Farbe verändert sich. Wird röter. Ein warmes Morgengrauen, ganz ruhig. Rote Kindergesichter. Zurück bleibt nur viel Arbeit.
    Öyvind saß in Anns sonnendurchfluteter ZweiZimmer-Wohnung in der Regementsgatan, direkt unterm Dach. Alles war weiß und lichtdurchtränkt. Sie tranken glitzernden Tee am offenen Fenster, die Gardinen wehten leise.
    »Ich musste es einfach jemandem erzählen«, sagte Öyvind, als er seinen Bericht beendet hatte.
    Ann befeuchtete sich die Lippen. Sie fühlte sich hilflos.
    »Hilf mir«, bat er.
    Sie beugte sich vor, fuhr mit der Fingernagelspitze über seinen Handrücken. »Die Welt muss es wissen«, sagte sie. »Du musst reden.« Unwiderruflich, in fast schicksalhaftem Ernst, fanden sie sich auf ihrer Sprungfedermatratze wieder. Sie knöpfte sein Hemd auf. Befeuchtete die Fingerspitze mit Speichel, drückte sie fragend auf seine Brustwarze. Er zog ihr langes, luftiges Sommerkleid hoch. Sie trug einen rosafarbenen Slip. Der hatte eine Öffnung in der Mitte, er musste ihn ihr gar nicht erst ausziehen.
    Ihr erstes Buch trug den Titel Vorhersagen, es kam in einem Einmannverlag für New-Age-Literatur heraus und wurde auf selten besuchten, neugebauten Homepages vorgestellt. Das Buch bekam so gut wie keine Rezensionen. Niemand an der Wargentinsschule erwähnte es auch nur mit einem Wort, und man konnte nicht einmal ein Drittel der fünfhundert gedruckten Exemplare verkaufen.
    Da ereignete sich das große griechische Erdbeben. Es war auf den Seiten 75-78 in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher