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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte
Autoren: Mikael Niemi
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vorbeisausen zu sehen, es ist die Messerklinge, die die Lebensadern durchtrennt. Einen Moment lang balancierst du auf des Messers Schneide, mit dem Rücken zu Tellus und das Gesicht dem Kosmos zugewandt, und du weißt, dass ein Traum sterben wird, ganz gleich, wofür du dich auch entscheiden wirst…«
    Das Zitat stammt von jemand anderem, der zurückgekehrt ist, von dem weiblichen ehemaligen Kampfpiloten Jekaterina Münster. Sie war in dieser Lage. Sie hat es nie vergessen. Sie entschied sich dafür, zurückzukehren, und für den Rest ihres Lebens war sie unsicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat.
    Diejenigen, die den Ponor passieren, verlassen die Menschheit. Sie verschwinden für immer und ewig. Der Mut, den sie aufbieten, ist beinahe unfassbar. Vielleicht kann man ihn auch Dummdreistigkeit nennen. Vielleicht ist es aber auch nur ein Kitzeln, ein Kribbeln in der Magengrube, das sie verspüren wollen, dieses schöne, prickelnde Todeserlebnis.
    Wenn man den Ponor passiert, gibt es kein Zurück mehr. Es ist nicht mehr möglich, die Erde zu erreichen. Man hat die Menschheit hinter sich gelassen. Die einzige Richtung, die noch bleibt, ist die nach vorn. Auf das Nichts zu. Auf das ganze gewaltige Universum zu.
    Für die Ponoristen dreht sich das Dasein einzig und allein um eine Sache. Kometen zu finden. Denn auf Kometen gibt es Eis. Und Eis kann zu Wasser geschmolzen werden, diesem Luxus, dieser Flüssigkeit, die uns wieder zum Leben erweckt. Das Problem ist, dass Kometen so schwer zu entdecken sind. Draußen im Weltraum, weit entfernt von der nächsten Sonne, fehlt den Kometen nämlich der Schweif.
    Man sucht nach einem schwarzen Schneeball vor einem ebenso schwarzen Hintergrund, und das eigene Überleben hängt davon ab, ob die Suche Erfolg hat. Der Vorrat beginnt zu schrumpfen, der Kabinendruck sinkt. Die Wassertanks im Wiedergewinnungssystem sind fast leer. Jeder Schluck wird rationiert. Man bewegt sich so wenig wie möglich, um Energie zu sparen. Liegt nur da und döst. Die Zunge schwillt an, man meint zu ersticken. Der Speichel erscheint fest und klebrig. Man taucht einen Finger ins Wasserglas, betrachtet den kleinen Tropfen. Klar, glänzend. Er wird rund, schwillt an, wird schwer und bauchig. Fällt in den dunklen Schlund des Mundes, rollt zur Zungenwurzel. Stundenlang kann man so daliegen, Tropfen für Tropfen.
    Dann plötzlich. Bipp! Bippedibipp! Man rutscht mühsam aus der Koje und betrachtet den Computerschirm. Tatsächlich, da draußen ist etwas! Vermutlich ein Asteroid, nur ein Stein. Nein, warte, oho! Der hat ein Spektrum! Verdammt noch mal, der hat ein Spektrum!
    Dann heißt es, sich schnell wie der Blitz in den Raumanzug zu zwängen. Rauf mit dem Helm, und dann das Schiff manuell auf das Dingsbums zusteuern. Langsam und vorsichtig die Bremsraketen justieren … rums! Und dann klettert man mit dem Spaten bewaffnet raus und fängt an loszuhacken und in den Laderaum zu schaufeln. Eis und Schnee und gefrorenen Dreck, man schaufelt emsig, dass der Helm beschlägt. Man formt einen Schneeball und wirft ihn zum Abschied ins Weltall hinaus. Er schlingert grau im Scheinwerferlicht, ein schlingernder Fausthandschuh, aus Wolle gestrickt. Das Schiff hebt mühsam wieder ab, satt und schwer wie eine pollenfette Hummel, und in der nächsten Zeit arbeitet das Aggregat auf Höchstleistung. Das Eis wird zu Wasser geschmolzen. Tropf, tropf, herrliche Musik im Wassertank. Und das Wasser wird weiter zu Sauerstoff gespalten, pst, pst vom Regulator. Und die Atmosphäre verdichtet sich wieder, der Druck auf dem Brustkorb verschwindet, und die Kabine erscheint plötzlich wie ein taufrischer Sommermorgen, und man hat mindestens zwei, vielleicht sogar bis zu fünf Jahre Überlebenszeit zusätzlich gewonnen.
    Auf diese Art und Weise, indem man draußen im schwarzen Meer des Alls von Eisscholle zu Eisscholle hüpft, kann man, theoretisch betrachtet, so weit wie man will kommen. Wenn nur die Elektronik durchhält. Wenn man nur keinen Krebs und keinen Herzinfarkt bekommt. Letztendlich ist es die eigene Lebensdauer, die die Reichweite begrenzt. Je länger man lebt, umso weiter kann man kommen. Und je weiter man kommt, desto größer werden die Chancen, dass man das findet, was man sucht.
    Der richtig große Kick für Ponoristen kam deshalb, als die Komagefrierboxen eingeführt wurden.
    Sie waren anfangs Schwindel erregend teuer, doch auch hier sanken die Preise mit der Zeit auf ein erträgliches Niveau auf dem
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