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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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dahinter.« Er wies auf die unscheinbare Luke, die im Sockel des Hauses, links unterhalb der Haustür eingelassen war. Ein angelaufener Messingriegel war plump davor genagelt. »Großer Lagerraum, habe ich behauptet. Isidoro und Domenico haben auch sofort ihr Werkzeug geholt und ihn aufgebrochen, waren erst mal beschäftigt. Ich habe meine Söhne nie verstanden, wenn ich nicht genau wüsste, dass sie von mir sind...« Gaetano zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe nämlich Tommaso vorbeischippern sehen, ein Schulfreund. Der fährt schon lange nicht mehr raus, fischt nur noch für sich. Meine Söhne hämmerten da unten an der Luke, und ich ließ Tommaso den halben Tisch vom Balkon auf sein Boot runter. Er musste natürlich aufpassen, dass er hier nicht auf Grund läuft. Dann fuhr er weg, mit dem Tisch auf Deck, bis rein in den Hafen. Ist ja nicht weit.«
    »Und dann hast du ihn wieder zurückgebracht, als das Haus leer war.«
    »Ja. Wollte ihn ja Maria nicht wegnehmen oder mein Verlobungsgeschenk wiederhaben.«
    »Eins verstehe ich aber immer noch nicht so richtig.«
    Gaetano blickte versonnen über das Meer.
    »Mein Vater. Der hatte sich genommen, was er wollte.« Gaetano machte ein schnaubendes Geräusch.
    »Und auch Teresa hat bekommen, was ihr ihrer Meinung nach zustand.«
    Gaetano bedachte mich mit einem gequälten Blick. »Ja, das meinte sie wohl.«

    »Warum haben sie nie wieder miteinander gesprochen? Für die beiden war doch alles in Ordnung? Gut, mein Vater hat kurz darauf auch noch die Polsterei seiner Eltern und die Mitgift seiner Schwester verspielt, er hat seine Schulden nicht bezahlt, hat jemanden schwer verletzt und wurde aus Sizilien fortgeschickt. Aber er ist ja nicht zimperlich, warum ist er nie wieder hier aufgetaucht?«
    »Ich glaube«, sagte Gaetano leise, »ich glaube, selbst die beiden herzlosesten Menschen der Welt haben erkannt, dass ihr vermeintliches Glück auf dem Unglück anderer beruht. Und Tränen sind nun mal kein fruchtbarer Boden für so etwas wie Liebe.«
    Er schaute mir jetzt fest in die Augen.
    »Sie haben sich gegenseitig die Schuld an ihren unglücklichen Ehen gegeben, aber insgeheim haben sie die Wahrheit gewusst. Sie wollten vom Anblick des anderen nicht an das erinnert werden, was sie mir und... meiner Maria angetan hatten. Selbst dein Vater hat versucht, das mit aller Macht zu vermeiden.«
    Ich spürte eine Gänsehaut über meinen Rücken laufen. »Teresa konnte Grazia nicht lieben, die war immer mehr meine Tochter als ihre. Und als Grazia dann deinen Bruder heiratete, Marias und Salvatores Sohn, das war für sie der gewaltigste Schlag!«
    Er ging mit ausgebreiteten Armen auf und ab.
    »Es war für uns alle unmöglich! Schon die Idee einer Verlobung war völlig ausgeschlossen. Sollte ich mit Salvatore nach alter Sitte die Bedingungen aushandeln, sollten die Bellones einige Tage später zu den LaMacchias kommen, mit einem Rosenstrauß und dem Verlobungsring... undenkbar. Hätte Teresa Maria etwa stolz die Bettwäsche und
umhäkelte Tischdecken aus Grazias Aussteuertruhe herzeigen sollen, die sie jahrelang zusammengetragen hat? Sollten wir alle zusammen Kuchen essen und über die Vorzüge unserer Kinder plaudern? Grazia und Leonardo auf dem Sofa, sittsam zwischen uns? Niemals!«
    Ich schüttelte bei dieser absurden Vorstellung den Kopf.
    »Aber sie haben es trotzdem getan«, rief Gaetano, »sie haben geheiratet und auch noch ein Kind bekommen! Die Vorstellung, dass Marias Blut bei uns in der Wohnung herumläuft, machte Teresa wahnsinnig. Von Vererbung und DNA und wie das alles heißt, da versteht sie ja nichts, aber Blut, Blutsbande und so, das versteht sie. Und Blutsbande, die kann man nicht zerreißen.«
    Er strich über seine kurzen weißen Haare. »Maria und ich sind also doch noch zusammengekommen. Matilde ist unser Kind, unser Kind, das eine Generation übersprungen hat. Und dann... mit fast einem halben Jahrhundert Verspätung...«, er zog wieder das Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und tupfte sich noch einmal die Augen ab, »... habe ich heute Mittag die andere Hälfte meines Verlobungsgeschenks in das Haus getragen und für dich den Brief auf den mezzo tondo gelegt.«
    »Ich habe ihn ihr vorgelesen. Deine Maria wäre mit dir weggegangen.«
    »Maria... Meine Maria. Sieht sie immer noch so aus?« Er sah mich zärtlich an, und seine Ohren leuchteten.
    »Ich möchte mit Matilde leben«, sagte ich. »Ich liebe dieses kleine Mädchen, und ich werde alles tun, um sie
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