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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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brachte mir dann am nächsten Mittag ein Fläschchen, das mir jemand, der nicht genannt werden wollte, schickte. Eine Tinktur aus dem heiligen Blut der Mutter Gottes. Von Maria und der ganzen Sache hatten wir bis dahin noch nichts gehört, es hatte sich noch nicht bis zu uns herumgesprochen.«
    Er erzählte jetzt müheloser.
    »Es war wie ein Wunder. Schon ein paar Stunden später haben die Schmerzen aufgehört. Ich trug zwar noch einen kolossalen Verband und musste die linke Hand ruhig halten, wusste aber, dass er nicht ganz verloren war, der Finger.«
    Er schaute auf seine Schuhe und fuhr leiser fort:
    »Am späten Nachmittag kam Teresa. Die hat den alten Verband abgenommen, hat die Tinktur von ihrer Mutter darauf geträufelt, den Finger mit dem polierten Knöchel von... einer Ziege war der, glaube ich, geschient und das Ganze neu verbunden. Sie hätte die magischen Kräfte von ihrer Mutter geerbt, hat sie mir ins Ohr geflüstert. Ich glaubte ihr, und es hat ja auch geholfen.«
    Mit einem zerknirschten Ausdruck in den Augen hielt er mir seinen kleinen Finger vor das Gesicht. Er stand ein wenig schief ab. Unter dem zweiten Gelenk, da wo der Finger schon fast in die Handfläche überging, sah ich einen blassen, rosa Ring auf der Haut.
    »Während sie den Verband wechselte, hat sie mir auch
die ganze Geschichte erzählt. Eine fuitina d’amuri, eine freiwillige Entführung also, eine Flucht aus Liebe! Ich bin aufgesprungen, habe geschrien, das könne niemals wahr sein, und lauter so Sachen. Ich wollte sofort los, um den Kerl umzubringen, aber Teresa hielt mich zurück. Sie sagte, sie hätte Maria besucht, und das Bett von der Tante sei schon bereitet gewesen für die beiden. Und Maria hätte nach pasta con l’acciughe verlangt.«
    Er griff sich mit beiden Händen an die Stirn.
    »Das war die Leibspeise von meiner Maria, es konnte also stimmen. Ich weigerte mich dennoch, das alles zu glauben, aber als Maria dann meinen Brief ungelesen zurückschickte, wurden die Zweifel immer stärker und machten mich krank. Mein Herz war mir herausgerissen worden, wie hatte ich mich in Maria so täuschen können...«
    »Sie hat ihn nie erhalten«, warf ich ein. »Teresa hat ihn abgefangen.«
    Er zog ein riesiges Stofftaschentuch aus seiner Anzugjacke und tupfte sich die Augen ab. Auch mir kamen wieder die Tränen. Da standen wir beide in der Sonne und weinten wegen etwas, das vor vierzig Jahren geschehen war.
    Ich schniefte: »Wenn du die Wahrheit nicht gewusst hast, warum durfte ich Mätti trotzdem aus der Backstube mitnehmen?«
    »Am Tag nach Grazias Beerdigung...«, er bekreuzigte sich mit dem Taschentuch, »... habe ich euch in Matildes Zimmer gehört. Ich habe gehört, wie Teresa dich gewarnt hat, in Matildes Nähe zu kommen. Du hast sie nach dem Limonenhaus gefragt. ›Deine Mutter hat nur bekommen, was sie verdient hat, jeder von uns hat bekommen, was ihm zusteht‹, hat sie geantwortet.

    Darum brachte ich Mätti in die Backstube und ließ euch gehen.« Er gestikulierte mit den Armen in Richtung Horizont, auf einmal wirkte er viel jünger als zuvor im Haus.
    »Am gleichen Tag bin ich los und habe nach vierzig Jahren die Scheidung eingereicht. Stell dir vor, einen Tag nach Grazias Beerdigung!« Gaetano lächelte jetzt mit nassen Wangen zu mir herüber.
    »Wenn sie das mit der Trennung erfährt... und wenn das unsere Nachbarn hören, das gibt einen Aufruhr! Seitdem du mit der Kleinen weg warst, wohne ich in der Backstube. Doch als Matilde dann vor zwei Tagen zu uns gebracht wurde, ging ich sofort nach Hause. In der pasticceria haben die Leute davon erzählt. So was spricht sich ja rum. Da konnte ich doch nicht... da konnte ich mein kleines Mädchen doch nicht alleine lassen!«
    »Das war richtig!«
    »Teresa, Teresa«, sagte er, »wenn Teresa erst davon erfährt...««

Kapitel 37
    PHIL
    Es war unmerklich Mittag geworden, und die meisten Punkte auf meiner Liste waren abgehakt. Ich hatte die Bar Aurora von Grazias Vater gefunden, in der ich, ohne Deutsch zu reden, ohne überhaupt zu reden, ein mit Marmelade gefülltes cornetto erstand und mich währenddessen diskret umschaute. Der nonno mit den drolligen Ohren war nirgendwo zu sehen gewesen. Auch das Hochhaus hatte ich gefunden. Auch dort benahm ich mich so unauffällig wie möglich, fragte mich aber, was ich da überhaupt tat. Lella würde mit Matilde ganz gewiss nicht in Teresas Wohnung ein und aus spazieren, und nach einer spontanen Begegnung mit den drei Maurer-Brüdern
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