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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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letzten Stunden in einem Dämmerzustand verbracht. Immer, wenn ihm die Lider schwer wurden und zufielen, sank er in sich zusammen. Inzwischen war er völlig durchnässt, und das Wasser reichte ihm bis zur Brust. Er fror, und seine Beine spürte er kaum noch, weshalb er zuweilen das Gleichgewicht verlor und ins Wasser fiel.
    » Na, Stäubling, wie ist das werte Befinden? « , drang die höhnische Stimme Ferdinand Kärners zu ihm herab.
    Sebastian hob den Kopf, blinzelte. » Was willst du? «
    » Nur mal nach dir sehen. Nach dir und meinem Hund. Kannst dich ja mit ihm unterhalten, wenn es dir langweilig wird da unten. « Kärner stieß sein typisches Lachen aus, das an das Meckern eines Ziegenbocks erinnerte, und verschwand vom Brunnenrand.
    Sebastian hörte ihn mit dem Tier reden. Seine Zähne klapperten aufeinander. Erneut versank er in Gedanken, denn er durfte nicht ohnmächtig werden oder einschlafen, sonst würde er ertrinken. Unaufhörlich versuchte er sich die Gesichter von Barbara und Anna vorzustellen, ihre Stimmen, ihr Lachen. Wie glücklich seine Schwester gewesen war, als sie sich endlich wiedergefunden hatten. Niemals würde er ihre glückstrahlende Miene vergessen. Dann stand ihm Barbaras Gestalt vor Augen, ihr schönes Blondhaar. Sie konnte durchaus beharrlich sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Selbst das gefiel ihm an ihr.
    Die Kälte schickte Schmerzwellen durch seinen Leib. Würde Tilmann es rechtzeitig schaffen? Wie lange mochte man unterwegs sein von hier bis nach Nürnberg? Sicher mehrere Stunden. Es würde weitere Stunden dauern, bis der Kupferschmied mit ein paar Helfern zurück war. Wie ein schwarzes Tuch senkte sich die Verzweiflung über ihn, und er schloss die Augen. Die Bilder seines Lebens zogen an ihm vorbei. Längst vergessen geglaubte Kindheitserinnerungen stiegen in ihm auf. Noch einmal erlebte er jede Freude, jede Sorge und jeden Kummer. Bis hin zu diesem Moment, an dem das Wasser allmählich anstieg und somit die Zeit, die ihm noch auf Erden blieb, wie die Körner in einer Sanduhr verrann.
    Als Sebastian mit einem jähen Schreck wieder zu sich kam, war der Himmel über der Brunnenöffnung heller geworden, und der Regen fiel nur noch in feinen Fäden auf ihn herab. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, musste es ungefähr Mittagszeit sein. Er atmete die moderige Luft ein. Dann hörte er Stimmen. Gleich darauf beugten sich Bratler und Kärner über den Brunnenrand.
    » He, Stäubling « , rief Bratler, » nimm das Seil. « Gleich darauf fiel das Ende neben ihm ins Wasser. » Bind es dir um, damit wir dich hochziehen können. «
    Mit bebenden Händen knüpfte er eine Schlinge und legte sie sich um die Brust. Zu zweit zogen Kärner und Bratler ihn in die Höhe, bis er sich triefend nass und mit schmerzenden Rippen über den Rand des Brunnens schob. Doch die Schergen von Pankratius ließen ihm keine Zeit, zu verschnaufen.
    » Mitkommen « , befahl Kärner, » Elia erwartet dich. «
    Wieder führten sie ihn in die Stube, wieder saß Pankratius ihm gegenüber, aber anders als zuvor ruhte sein Blick nun nachdenklich auf ihm. » Der Regen hat nachgelassen « , begann er. » Du weißt, was das bedeutet, Sebastian? «
    » Wenn Ihr zu Eurem Wort steht, werdet Ihr mich jetzt begnadigen « , stammelte er, vor Kälte bebend.
    » Zweifelst du etwa an meinem Wort? Das passt zu dir. Aber erinnere dich, ich habe auch gesagt, dass du mich zuerst um Verzeihung bitten musst. Nur dann brauchst du nicht in den Brunnen zurück. Also, was ist? Bereust du deinen Verrat an dem Propheten des Herrn, der dir vertraut hat wie Christus seinem Jünger Judas? «
    Sebastian starrte zu Boden. Was hielt ihn zurück, die wenigen Sätze auszusprechen, die Pankratius hören wollte? Sie würden ihm das Leben schenken und ihn zu Anna und Barbara zurückbringen. Lediglich ein paar Worte. Trotzdem wollten sie ihm einfach nicht über die Lippen kommen.
    » Ich höre, Sebastian. Meine Geduld währt nicht ewig. Brauchst du wirklich so lange, um dir über eine Antwort auf eine einfache Frage klar zu werden? «
    Ihre Blicke begegneten sich. » Es … es tut mir leid « , brachte Sebastian endlich lahm hervor.
    » Es tut dir leid? Das ist mir zu wenig für eine Entschuldigung. ›Es tut mir leid‹, das sagt sich so leicht dahin. Wie wäre es stattdessen mit ›Vergib mir meinen schändlichen Verrat, Elia‹ oder mit ›Ich habe mich gegen dich und die Bruderschaft versündigt‹?«
    » Und gegen den Herrn « ,
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